Wintermond
Art zu ihr sprach, in die Augen und erkannte in deren Tiefen, als würde sie eine Ewigkeit in eine Nebelwand starren, plötzlich zwei blaue Leuchtfeuer. Da verstand sie: Dieses Wesen war ein Teil von David. Und es wollte ein Teil von ihr sein. Die Bitte war von einer solchen Dringlichkeit, dass es Meta fast das Bewusstsein raubte. Es war mehr, als sie ertragen konnte.
»Ruf deinen Wolf zurück«, forderte Tillmann unterdessen David mit brüchiger Stimme auf und trat langsam einige Schritte hinter Meta zurück. »Ich weiß nicht, was hier eben passiert ist, aber ich denke, wir sind quitt.«
Zuerst reagierte David gar nicht, dann nickte er lediglich und schloss die Augen. Der Schattenwolf, der vor Meta stand, als warte er nur darauf, dass sie ihn endlich berührte, machte widerwillig kehrt und schritt auf seinen Herrn zu. Ungläubig schaute Meta dabei zu, wie der Wolf mit David verschmolz.
»Ich habe keine Ahnung, wozu deine Lady imstande ist. Aber was immer es auch ist, der Wolf mag es. Du bist wirklich stets für eine Überraschung gut, David. Jetzt kann ich fast verstehen, warum Maggie einen solchen Narren an dir gefressen hat.« Einen Moment blieb Tillmann stehen, dann wandte er sich ab und verschwand mit seinem Kumpanen so plötzlich, wie sie beide aufgetaucht waren.
David stand mit geschlossenen Augen da, reglos, als nehme er alles hin, was nun geschehen mochte. Verzweifelt suchte Meta nach Worten, um ihn zu erreichen, aber es gelang ihr nicht einmal, einen Schritt zu tun. Zu verwirrend, zu überwältigend waren die letzten Minuten gewesen, ihre ganze Welt war auf den Kopf gestellt worden. Und sie ertastete immer noch die Weite in ihrem Inneren, die nun, da der Schatten zu Tillmann zurückgekehrt war, verwaist in ihr lag.
»Es tut mir leid. Ich habe wirklich geglaubt, ich könnte den Wolf vor dir verheimlichen«, sagte David kaum hörbar. Er trat auf Meta zu und bückte sich. Zuerst sah es aus, als wolle er den Rosenstrauß aufheben, aber dann richtete er sich lediglich wieder auf. Kein Blick, keine Berührung. »Du brauchst jetzt keine Angst mehr zu haben, Tillmann ist fort und wird dich nicht wieder belästigen. Keiner von uns wird das noch einmal tun.« Mit diesen Worten machte er auf der Stelle kehrt und ging fort.
Nein, bleib!, wollte Meta ihm zurufen, aber ihre Lippen waren wie versiegelt. Als sie die Starre endlich abgestreift hatte und ihm hinterherlaufen wollte, stolperte sie über den Rosenstrauß und fiel auf die Knie. Unfähig, sich wieder zu erheben, begann sie zu weinen.
Kapitel 27
Freier Fall
Irgendwann fand Meta die Kraft, aufzustehen und nach Hause zu gehen, wobei sie kaum spürte, wie ihre Füße den Boden berührten. Ihr ganzer Körper war ein einziges Beben, obgleich er sich wie abgestorben anfühlte. Doch Meta scherte sich nicht um ihr Befinden, sie spürte vor Kummer und Entsetzen kaum, was in ihrem Inneren passierte. In einer grauenhaften Endlosschleife, die sich völlig ihrem Willen entzog, flackerten die Bilder auf: Die Rohheit, mit der David und sie attackiert worden waren, diese nie zuvor erlebte Angst und der Schmerz vermischten sich mit dem Erscheinen des Wolfes, der ihrem Ruf gefolgt war. Sie spürte ein Nachhallen des Schattens, den sie Tillmann entlockt hatte, damit er ihr nicht die Kehle zudrücken konnte. Sah Davids Körper, der den Schatten in sich aufnahm. David, der sich von ihr abwandte.
Unwillkürlich begann Meta zu keuchen, weil ihr die Luft immer schneller aus den Lungen zu entfliehen drohte. In einem fort tauchte vor ihrem inneren Auge der Schattenwolf auf, bereit ihr zu folgen, nur um sich einen Herzschlag später wieder mit David zu vereinen. Meta schüttelte mechanisch den Kopf, als wäre die Erinnerung nicht mehr als ein Trugbild. Dabei hatte sie erkannt, dass der Schattenwolf ein Teil von David war und zugleich doch etwas ganz anderes. Instinktiv begriff sie diese Wahrheit, als hätte sie ihr ganzes Leben lang in ihr geschlummert und auf den Moment gewartet, sich ihr endlich zu offenbaren. So musste es sein, denn auf dieses Wesen zu reagieren war ihr so leicht gefallen, wie zu atmen … Verwirrt schob Meta den Gedanken beiseite, und es blieb nur noch das Bild von David, wie er ihr den Rücken zukehrte.
Wenn Meta noch die Kraft besessen hätte, hätte sie vor Verzweiflung geschrien, bis ihr die Stimme brach. Aber so schaffte sie es gerade einmal, die Wohnungstür hinter sich zuzuziehen und auf den Boden zu gleiten. Reglos saß sie da, unfähig, den
Weitere Kostenlose Bücher