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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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mit einer solchen Impulsivität aus ihm heraus, dass er glaubte, es zerreiße ihn. Doch in diesem Moment war ihm das vollkommen gleichgültig.
     In dem Augenblick, als David gewaltsam von ihr fortgezerrt worden war, hatte Meta kaum mitbekommen, dass sie beide tatsächlich angegriffen wurden. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie bedroht, geschweige denn grob angepackt worden. Doch mehr als die Gewalt hatte sie etwas anderes schockiert: Die Augen der Angreifer leuchteten in demselben Blau wie Davids.Wie die Augen des Jungen, der sie neulich in der Galerie besucht hatte.Was waren das nur für Menschen? Der Schmerz, als Tillmanns Faust sie an der Schläfe traf und ihr Gesicht gegen die Mauerwand schlug, wischte ihre Benommenheit weg. Sie brauchten Hilfe. Jetzt, sofort.
    Meta spürte, wie kräftige Hände nach ihrem Körper fassten, ihr den Kopf in den Nacken zerrten, so dass sie nur noch den Winterhimmel sehen konnte. Der Griff war derartig hart, dass sie nicht einmal mit dem Gedanken spielte, sich ihm zu entziehen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, nach Hilfe zu  rufen. Sie blendete alles aus - Schmerz, Verwirrung. Übrig blieb die Gewissheit, dass ein Hilferuf nicht ungehört verhallen würde, und Meta gab ihr ohne Zögern nach. Alles, was sie tun musste, war zu rufen. Als ihr der eigene Schrei in den Ohren gellte, stellte sie verwirrt fest, dass sie den Mund gar nicht geöffnet hatte.Trotzdem erscholl sogleich eine Antwort: ein ohrenbetäubendes Tosen. Jede Faser ihres Körpers reagierte auf dieses unwirkliche Geräusch, das sie mit allen Sinnen gleichzeitig wahrzunehmen schien.
    In ihrem Nacken stieß Tillmann ein unmenschliches Knurren aus, mit dem auch David seinen Unmut kundtat. Während Tillmann den Griff um ihre Kehle verstärkte, veränderte sich die Art seiner Berührung: Etwas durchfuhr seine Hand, drang in sie ein und durch sie hindurch. Eine unnatürliche Energiewelle, die Meta erschaudern ließ, obwohl sie ihr so vertraut vorkam - sie kannte die Quelle dieser Macht, war schon von ihr berührt worden. Zwischen Tillmanns Hand und ihrer Haut hatte sich der Schatten ausgebreitet, so dass er ihre Kehle mit Leichtigkeit zerquetschen könnte. Mit derselben Leichtigkeit, mit der David damals die Metalltür hatte aufspringen lassen.
    Ohne zu begreifen, was sie tat, griff ein Teil von Meta nach dieser sich zu einem Schemen verdichtenden Energie und lud sie ein. Als der Schatten ihre Einladung annahm, wurden in ihrer Seele Räume aufgestoßen, von denen sie bislang keine Vorstellung gehabt hatte. Lichtdurchflutet und weit. Wie ein Wirbelsturm tobte Tillmanns Schatten durch diese Räume, als habe er sich noch nie zuvor so frei und glücklich gefühlt. Zuerst wollte sich Meta sträuben, die Türen wieder zuschlagen, einfach, weil es nicht sein durfte. Dann erkannte sie, dass es nur ungewohnt war, diese fremde Macht in sich zu tragen, und ließ es geschehen. Als der Schatten sie endlich verließ, schlossen sich die Türen in Metas Innerem zwar wieder, aber sie waren nicht verriegelt.
    Die Anspannung, unter der Tillmann gestanden hatte, war plötzlich wie gelöst. Auch der Griff in ihrem Haar lockerte sich, so dass Meta endlich ihren Kopf senken konnte. Augenblicklich stieß David ein beschwörendes »Nicht hinschauen« aus, aber im selben Moment sah sie den riesigen Wolf, der sich direkt vor ihr zum Angriff aufgebaut hatte.
    Mein Wolf, dachte Meta, als sie ihn wiedererkannte. Mein Wolf, der mich auf meinem Spaziergang durch dunkle Straßen begleitet hat. Dann begriff sie, dass das Wesen vor ihr nicht existierte, zumindest nicht auf die gleiche Art wie sie. Die Gestalt war nicht mehr als ein Schemen, eine Ahnung von einem Wolf. Trotzdem strahlte er eine ungeheure Energie aus. Seine Fänge und die sich unter dem bleigrauen Fell abzeichnenden Muskeln waren Waffen, denen niemand widerstehen konnte. Alles in diesem Schattenwolf drängte zum Angriff - allerdings nicht auf Meta, sondern auf Tillmann, der immer noch dicht hinter ihr stand, fast ein wenig selbstvergessen.
    Nur mit Mühe gelang es Meta, den Blick von dem lauernden Wolf abzuwenden und zu David hinüberzusehen, der reglos einige Schritt hinter der Kreatur stand. Seine Gesichtszüge zeigten eine Verzweiflung, die Meta nicht begreifen konnte. Sie wollte ihm Trost zukommen lassen, die Versicherung, dass nun alles gut werden würde, doch all ihre Aufmerksamkeit wurde von dem tänzelnden Schatten eingenommen. Meta blickte dem Wesen, das auf eine lautlose

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