Wintermond
Unbeschwertheit verlieh. Wenn es überhaupt möglich war, sah sie nach ein paar Stunden Schlaf auf dem Sofa noch angegriffener aus als in der letzten Nacht. Sie blickte Meta aus geröteten Augen an, dann schaute sie wieder in den bleigrauen Himmel.
»Es ist ein Wolf, aber David nennt ihn einen Dämon, gerade so, als sei er von ihm besessen.«
»Du kennst diesen Wolfsdämon also?«
Obwohl der Wind um die Hausfront peitschte und ihr geschundener Körper zitterte, trat Meta ebenfalls ins Freie. Sie atmete tief ein und stellte sich so dicht neben Rahel, bis ihre Oberarme sich berührten. Dankbar für diese tröstende Geste, schenkte Rahel ihr ein vorsichtiges Lächeln.
»Ja, ich weiß um diesen Dämon«, sagte sie, und Meta bewunderte sie für ihre gefestigte Stimme, die ihr unendlich viel Kraft abverlangen musste. »Mein jüngerer Bruder Augusten kam mit den gleichen schönen blauen Augen auf die Welt wie David. Deshalb habe ich auch erkannt, was David ist. Ich hätte es dir sagen müssen, aber ich habe es einfach nicht über mich gebracht. Ich habe miterleben müssen, was der Wolf aus einem Menschen macht, welche Grenzen er ihm auferlegt. David ist so verliebt in dich, da habe ich ihn einfach nicht seiner Chance berauben können. Allerdings hat er mir versprochen, dich zu verlassen, wenn der Wolf hervorbricht, und ich habe ihm vertraut. Damit habe ich einen Fehler begangen, nicht wahr?«
Ohne darüber nachdenken zu müssen, schüttelte Meta den Kopf. »Nein, es war gut, dass David und ich zuerst unsere Zeit miteinander hatten. So hatte ich die Gelegenheit, von einer Seltsamkeit über die nächste zu stolpern, ohne gleich mit dem großen Geheimnis konfrontiert zu werden. Wenn du es mir sofort gesagt hättest, hätte ich vielleicht vor Entsetzen mit David gebrochen.«
Rahel zog vor Verwirrung den Kopf zurück und sah Meta an. »Das kann nicht dein Ernst sein!«, brach es dann aus ihr hervor. »Du hast den Wolf gesehen und spielst trotzdem mit dem Gedanken, David zurückhaben zu wollen?«
Verblüfft von Rahels heftiger Reaktion, zuckte Meta zusammen. Ganz gleich, wie erschreckend das Geschehen in der Gasse auch gewesen und wie absurd die Existenz dieses Wolfsdämons auch sein mochte, in keinem Moment hatte sie daran gezweifelt, dass sie David trotzdem an ihrer Seite haben wollte. Deshalb verletzten sie Rahels Worte auch. Offenbar war ihre Freundin davon ausgegangen, sie würde sich in der Sekunde, in der sein Geheimnis gelüftet war, von ihm abwenden. Als wäre er nicht einmal die Überlegung wert, ob sie den Wolf vielleicht ertragen könnte. Als Meta sicher war, dass ihrer Stimme nichts Harsches beiwohnte, sagte sie schlicht: »Ja. Ich habe mich für David entschieden, daran ändert auch der Dämon nichts.«
Eine Spur von Hoffnung legte sich über Rahels Züge, löste die Anspannung, die ihr Gesicht in eine Maske verwandelt hatte. Dann legte sie der vor Kälte und Erschöpfung zitternden Freundin den Arm um die Schultern und führte sie zurück in die Wohnung. »Es ehrt dich mehr, als du denkst, dass du David nicht zum Teufel wünschst. Aber ich finde, du solltest zuerst mehr über den Wolf wissen, bevor du eine so grundlegende Entscheidung triffst. Ich koche uns jetzt eine Kanne Tee, und dann erzähle ich dir, was ich darüber weiß. Wenn du das Ganze verdaut hast und deinen David immer noch willst, dann werde ich dir helfen und meinetwegen auch Patentante von euren Welpen werden, okay?«
Meta warf ihr einen skeptischen Blick zu, aber die warme Luft im Inneren der Wohnung hieß sie willkommen und machte den kleinen Seitenhieb mit den Welpen vergessen. Während Rahel in die Küche verschwand und ein Tablett mit Keksen und Geschirr belud, kuschelte Meta sich, in eine Wolldecke gehüllt, in die Sofaecke. Ihr Kopf schmerzte unerträglich, und auf ihrer Stirn hatte sich ein handtellergroßer Bluterguss ausgebreitet, dort, wo sie gegen die Mauer gestoßen war. Auch ihr Handgelenk war geschwollen und ließ sich nur schwer bewegen. Noch immer konnte ein Teil von ihr nicht glauben, dass sie tatsächlich attackiert worden war. So etwas gab es in ihrer Welt nicht. Aber in Davids … Dort gehörte Gewalt offensichtlich zum Alltag. Meta fielen all die Verletzungen ein - alte und neue -, mit denen sein Körper übersät war.Wohin ist er bloß gegangen? Wie heiße Finger kroch ihr die Sorge den Nacken hinauf. Zwar hatte dieser Tillmann davon gesprochen, dass sie nun quitt seien, aber war David wirklich in Sicherheit?
Als
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