Wintermord
sind nämlich Nachbarn ... um halb sieben. Das weiß ich, weil ich den Halb-sieben-Bus an der Haltestelle gesehen hab.«
Er war zufrieden, weil er so konkret hatte Auskunft geben können. Doch gleich darauf legte er die Stirn bekümmert in Falten.
»Ich bin ziemlich langsam gefahren, weil wie gesagt irgendwas mit dem Auto war. Bei der Tankstelle ist mir dann der Auspufftopf runtergefallen. Es dauerte ein bisschen, bis ich das Rohr hochgebunden hatte. Vielleicht so zwanzig Minuten. Dann suchte ich – oder wir – suchten wir die Werkstatt ...«
»Sie kannten sie also schon?«
»Nein. Also ich wusste bloß, dass sie irgendwo hier ist. Ich bin früher mal dran vorbeigefahren. Vor ein paar Jahren. Sonst geh ich immer zu Christer. Oder besser gesagt, Nordén und Sohn, in Lerum. Ich hab immer ...«
»Sie sind also einfach nur die Straße hochgefahren und haben angerufen. Wäre es eine gute Schätzung, wenn wir sagen, dass Sie die Leiche zehn, fünfzehn Minuten vor dem Anruf gefunden haben?«
Åke nickte. »Ja. Ich glaube, ich – das heißt wir – saßen eine Weile im Auto an der Haltestelle, aber das kann nicht lange gewesen sein. Nur, um uns ein bisschen zu sammeln. Ich war schockiert, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich weiß, dass ich natürlich hätte hierbleiben müssen ... Ich hab gar nicht richtig nachgedacht, ich wollte bloß weg. Mir ist nicht mal eingefallen, dass ich ja das Handy dabeihabe.«
»Das ist schon in Ordnung. Ich verstehe Ihren Impuls, erst mal davonzulaufen«, beschwichtigte Tell, und Åke schien sich ein wenig zu entspannen.
»Ich will nur wissen, wie es der Reihe nach ablief, so exakt, wie Sie es nur wiedergeben können. Haben Sie etwas Besonderes gesehen oder gehört? Irgendetwas, was Ihnen komisch vorkam?«
Während Åke Melkersson nachdachte, beobachtete Tell aus dem Augenwinkel seinen Kollegen Karlberg. Der unterhielt sich draußen mit dem Arzt, der das Opfer untersucht hatte. Die Sanitäter schickten sich gerade an, die Leiche abzutransportieren. Tell fragte sich, ob er sie noch um einen Moment Geduld bitten sollte, beschloss aber, es bleiben zu lassen.
Widerstrebend wandte er sich wieder dem ungleichen Paar zu. Gerade noch rechtzeitig, um zu bemerken, wie Seja ihrem Nachbarn einen flehenden Blick zuwarf und mit den Schultern zuckte.
»Nein ... Ich hab nichts Besonderes gesehen, nur das, was Åke schon erzählt hat.«
»Dann erzählen Sie das doch noch mal, Åke.«
»Das Haus schien leer zu sein, aber die Garagentür zur Werkstatt stand offen. Drinnen brannte Licht. Ich ging rein, um nachzusehen, ob jemand da ist, ich hab auch gerufen, aber niemand hat geantwortet. Das Radio war an, es lief ... diese Kuschelrocksendung. Den Sender hör ich auch immer.«
»Gut. Reden wir von etwas anderem. Wo waren Sie, Seja, als Åke in die Werkstatt ging?«
»Im Auto. Ich bin im Auto geblieben, deswegen hab ich ... den Toten nicht gesehen.« Wenn du glaubwürdig lügen willst, dann lüg so wenig wie möglich .
Tell nickte. Als sie nichts hinzufügte, wandte er sich wieder an Åke, der mit seinem Bericht fortfuhr.
»Ich beschloss, eine Runde zu machen, es sah so aus, als wäre jemand da oder gerade noch in der Werkstatt gewesen. Ja, und dann hab ich ihn gesehen. Er lag einfach so da. Ich hab gleich gesehen, dass er tot ist, ich bin nicht näher rangegangen ... äh ... Dann hab ich, glaub ich ... mein Frühstück wieder von mir gegeben. Das kam so plötzlich, man rechnet ja nicht damit, dass man so einen ... findet ... also, jedenfalls nicht so ...«
»Völlig verständlich, Åke. Völlig verständlich.«
Das Erbrochene hatte man bereits in der Nähe der Leiche gefunden.
Tell hatte einen Block gezückt und machte sich Notizen.
Mittlerweile hatte Åke sein Selbstvertrauen zurückgewonnen und wagte, eine Frage zu stellen. »Er ist erschossen worden, oder? Es hat ihn jemand erschossen und dann überfahren?«
Tell blickte von seinen Aufzeichnungen auf und strich sich die Haare aus der Stirn. »Die Todesursache muss der Gerichtsmediziner noch feststellen. Aber es ist zweifellos auf ihn geschossen worden, und man kann davon ausgehen, dass der Schuss tödlich war.«
Er zog eine Schachtel Zigaretten aus der Innentasche seines Mantels und schüttelte mit einem entschuldigenden Lächeln eine heraus. Dabei bemerkte Seja einen schiefen Schneidezahn, der ihn jünger wirken ließ.
»Rauchen ist zwar nicht mehr üblich, aber wenn Sie einverstanden sind ...« Er wandte sich ab, als er ausatmete,
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