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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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zuvorgekommen und hatte ihr von Seja erzählt?
    Sie seufzte. »Musst du jetzt so verschreckt dreinschauen? Zum einen bin ich im Prinzip nicht mehr deine Chefin, also brauchst du mit keinem Nachspiel zu rechnen. Zum anderen – und das ist viel wichtiger – bin ich deine Freundin. Zumindest dachte ich das. Vielleicht war ich nicht immer besonders offenherzig, aber ich fand, dass wir zwei uns ganz schön ähnlich sind und uns immer verstanden haben. Ich hab mich darauf verlassen ...«
    Er wollte protestieren. »Ja, aber ...«
    »Ich hab mich darauf verlassen ...«
    Sie hob einen Finger. »... dass du die Risiken deines Verhaltens selbst einschätzen kannst. Dazu bist du uneingeschränkt in der Lage, auch wenn du in diesem Fall auf der Grenze balanciert bist. Deswegen bin ich fast ein wenig verletzt, weil du geglaubt hast, nicht mit mir reden zu können. Und mir stattdessen aus dem Weg gegangen bist. Das war feige.«
    »Stimmt.«
    »Und kindisch.«
    Er blickte nicht auf, ahnte aber, dass ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielte.
    »Allerdings.«
    Er hob die Stimme. »Und wo wir gerade bei meinem Mangel an Rückgrat sind, entschuldige ich mich, dass ich dich nicht sehen oder an dich und deine Krankheit erinnert werden wollte. Es war nicht nur die Geschichte mit Seja. Ich hab einfach Angst bekommen beim Gedanken, dass ...«
    Seine hilflose Handbewegung musste erklären, was er nicht aussprechen konnte.
    »Dass ich bald sterben werde«, brachte sie seinen Satz seelenruhig zu Ende. »Die Entschuldigung ist angenommen. Aber warum bist du so wütend, Christian? Warum bist du böse, wenn ich es nicht bin?«
    Sie beugte sich vor und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen. »Ich stelle dir jetzt dieselbe Frage, die ich Gustav in den letzten Wochen gestellt habe. Warum solltest du wütend sein, wenn ich es nicht mehr bin? Ich habe akzeptiert, dass mir nur noch wenig Zeit bleibt. Ich habe vielleicht noch ein Jahr, um alle Bücher zu lesen, die ich lesen wollte, wenn ich im Ruhestand bin. Ein Jahr, um auszuschlafen. Ich kann in die Sauna gehen, die wir uns vor zehn Jahren gebaut haben und die ich fast nie genutzt habe. Oder all die interessanten Gespräche wieder aufnehmen, die ich mit meinem Mann angefangen hatte, als wir noch frisch verheiratet waren, die dann aber stecken blieben, als es mit meiner Karriere bergauf ging. Ich sagte zu ihm: Jetzt freu dich doch, Gustav. Du hast dich immer beschwert, dass ich dich kaum noch wahrnehme.«
    Tell glaubte erst, dass ihm ein Lachen in der Kehle steckte, aber dann merkte er zu seiner Verwunderung, dass ihm die Tränen hinter den Lidern brannten.
    »Und du, Christian, du solltest etwas tun, was dich glücklich macht. Sei glücklich, so wie ich, dass du jemand gefunden hast, der nett ist und es mit dir aushält, und hör endlich auf, diese absurden Schuldgefühle zu wälzen. Hör auf, dich von deinen Ängsten leiten zu lassen. Hör auf, dich zu fragen, ob du auch verdienst, was du bekommst. Du solltest einfach leben! Und froh sein!«
    Als er in sich hineinhorchte, merkte er, dass er tatsächlich froh war. Er war froh, dass Seja vielleicht in seiner Wohnung auf ihn wartete, wenn er abends nach Hause kam. Zwar wagte er nicht, davon auszugehen, aber es konnte ja sein. Und darüber war er froh.
    »Mit Seja läuft es gut«, sagte er und spürte, wie eine Welle des Glücks in ihm aufstieg.
    »Na siehst du, jetzt musst du sogar lachen!«, stellte sie fest und knuffte ihn scherzhaft in die Seite. »Wusste ich doch, dass du das kannst.«
    Nachdem sie zusammen gelacht hatten, breitete sich ein nachdenkliches Schweigen zwischen ihnen aus. Sie sahen Gustav Östergren einen Rasenmäher um die Ecke ziehen und vor der Kellertreppe abstellen. Möwengeschrei drang herein, als er die Verandatür aufmachte, und ein frischer Wind strich ihnen übers Gesicht. Tell sah, dass Ann-Christine fröstelte.
    »Der Wind frischt ganz schön auf«, bemerkte ihr Mann und goss sich eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne ein. »Seewind.«
    Mittlerweile konnte Tell den Geruch des Meeres sogar wahrnehmen. Als Kind hatte es ihm immer gefallen, am Meer spazieren zu gehen, wenn ein richtig kräftiger Wind blies. »Und die Geige?«, fragte Tell.
    »Lassen Sie mich nur kurz austrinken, dann können Sie mit rauskommen und einen Blick drauf werfen.«
    Eifrig tunkte er ein Gebäckteilchen in den Kaffee, während er mit der freien Hand nach einer Decke langte, die zusammengefaltet neben der Tür lag. Er reichte sie seiner Frau, die sich

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