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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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Boden. Hier war die Luft etwas weniger stickig. Sein Schwindel ließ nach. Die Frau reichte ihm eine kleine Holzschale.
    »Trink das!«, befahl sie.
    Er hob die Schale an die Lippen und zuckte zusammen, als er das heiße, bittere Gebräu kostete, aber er wagte nicht, das Gefäß abzusetzen, da er keine Ahnung hatte, was hier von Bedeutung war und was nicht. Irgendwo in seinem Innern, aber längst nicht so weit von der Oberfläche entfernt, wie er sich das gewünscht hätte, kauerte ein kleiner Junge, der vor Angst und Einsamkeit zitterte. Und er wusste, dass nun vielleicht zum ersten Mal eine Zeit gekommen war, da er dem Jungen nicht erlauben konnte, Teil seiner Gedanken zu sein. Er stellte die Schale auf den Knien ab und ließ die Blicke mit – wie er hoffte – gefasster Miene umherschweifen.
    Etwa zwanzig Kyrinin saßen in dichten Reihen im Halbkreis vor ihm. Hier und da entdeckte er auf den Gesichtern von Männern und Frauen die verschlungenen Muster, die seines Wissens nach nur herausragende Krieger oder Anführer trugen. Im Krieg der Befleckten, so erzählte man sich, hatten die Soldaten der Könige gefallenen Kyrinin die tätowierte Gesichtshaut abgezogen, um zu beweisen, welch gefährliche Feinde sie getötet hatten.
    Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der zuckenden Flammen, saß eine zierliche Frau, älter als die meisten anderen Anwesenden. Sie trug einen grob gewebten, mit schwarzen und blauen Spiralen bestickten Umhang. Silbergraues, von leuchtend roten Strähnen durchzogenes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie hatte scharf geschnittene Gesichtszüge, und nur die Falten um Augen und Mund verrieten den unerbittlichen Lauf der Zeit. Ihre ausdruckslosen grauen Augen waren starr auf Orisian gerichtet.
    »Ich bin In’hynyr. Ich bin die Vo’an’tyr «, sagte sie. Ihre Stimme hatte einen dünnen, spröden Klang mit einem eisernen Kern.
    Orisian nickte. Das Gebräu, das er getrunken hatte, brannte sich eine Spur durch die Kehle bis tief in seine Brust.
    »Wir müssen reden«, sagte In’hynyr.
    »Bitte«, entgegnete Orisian leise. Er hatte keine Ahnung, was er sonst sagen oder ob er überhaupt etwas sagen sollte.
    »Es gibt in diesem Winter fünf Vo’ans des Fuchs-Clans«, fuhr In’hynyr fort, »und das ist eine stattliche Zahl. Dieser Platz bietet alles, was wir brauchen. Einen Sonnenhang mit üppigen Wäldern, in denen wir genügend Nahrung finden. Der Wald ist freigebig. In diesem Winter errichteten wir das erste Vo’an , seit ich meine Erstgeborene auf dem Rücken trug. Sie hat inzwischen selbst viele Kinder. Es war ein langes Warten bis zur Rückkehr der Füchse. Als hier das letzte Mal ein Vo’an stand, sahen Huanin aus dem Tal unsere Feuer und versuchten diesen Ort ausfindig zu machen. Wir führten sie in die Irre, über rauen Fels und durch tiefe Täler. Es gab Tote auf beiden Seiten, und sie gingen weg. Du bist aus dem Tal der Dickbeiner und Schwerfüßigen?«
    »Ich … ich komme von Kolglas«, stammelte Orisian, von der unvermittelte Frage überrascht. In’hynyrs Stimme hatte einen einschläfernden Rhythmus, der ihn von der Bedeutung der Worte und Sätze ablenkte.
    »Warum bist du in dieses Vo’an gekommen?«, fragte In’hynyr.
    »Ich war verwundet und wurde hierhergebracht. Ess’yr sagte …« Orisian stockte, als In’hynyr geräuschvoll schniefte und einfach über ihn hinweg sprach.
    »Dem Fuchs-Clan war bekannt, dass es in diesem Winter Krieg im Tal geben würde. Als die Kundschafter unserer Sommer- A’ans aus den Gebieten des Feindes zurückkehrten, berichteten sie von einem Huanin-Heer. Und sie berichteten, dass die Aas fressenden Schleiereulen gemeinsam mit diesem Heer gegen die Talbewohner kämpfen würden. Die Schleiereulen, die kein Gedächtnis haben, machen sich zu Handlangern der Huanin. Das ist gut. Sie werden dafür leiden. Und es ist gut, dass Krieg im Tal herrscht, denn wenn Krieg im Tal herrscht, wird man uns in Ruhe lassen. Deshalb kehrten wir nach vielen Jahren zu diesem Vo’an zurück.«
    Orisian hatte Mühe, alles aufzunehmen, was sie sagte. Wenn die Schleiereulen die Inkallim unterstützten, dann erklärte das, wie die Krieger des Schwarzen Pfads unentdeckt nach Kolglas gelangt waren. Vermutlich hatten sie mit Hilfe von Kyrinin-Führern die Wälder von Anlane durchquert. Und doch erschien ihm dieses Bündnis unmöglich. Die Schleiereulen waren keine Freunde der Menschen, und die Stämme des Schwarzen Pfads waren erst recht keine Freunde der Kyrinin.
    »Dies ist

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