Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
entdeckt habe, endlich weiß, wo ich hingehöre. Jetzt schmeißt du mich zurück. Sie wunderte sich, warum sie schwieg. Er küsste ihre Hand. Wut und Trotz wie bei einem kleinen Mädchen kamen in ihr hoch. Sie fühlte sich von ihm verraten und im Stich gelassen. „Dann guten Flug“, entfuhr es ihr barsch. Sie würde sich eben einen anderen Kellermeister suchen, basta. Beseelt von diesem Gedanken riss sie die Wagentür auf und stürzte aus dem Auto. Kaum hatte sie die Tür zugeschlagen, startete er den Motor und brauste davon. Als sie ihm nachsah, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Sie wusste nicht, ob aus Wut und Zorn, Verzweiflung oder einfach nur, weil sie sich entsetzlich fühlte.
Die Wohnung empfing sie mit einer ungewöhnlichen Stille. Es drangen weder Geräusche aus dem Restaurant noch von den Terrassen h erüber. Beides war wegen der Beerdigung geschlossen. Sie lachte bei dem Gedanken frostig auf. Das war hoffentlich die letzte für die nächsten Jahre.„ Idiot, Blödmann“, schimpfte sie, als ihre Gedanken zurück zu Thomas eilten. Aufgebracht stampfte sie mit dem Fuß auf und lief erhitzt durch die Wohnung von einem Zimmer ins andere. Mit wütender Geste entledigte sie sich Stück für Stück ihrer Trauerkleidung. Die einzelnen Teile landeten, wo sie diese gerade fallen ließ. Egal, es war alles egal. Nur noch mit Slip bekleidet ging sie zur Bar und gönnte sich einen Spätburgunder. Sie musste sich beruhigen. In kleinen Schlucken leerte sie das Glas. Ihre Augen wanderten durchs Wohnzimmer. Unvermittelt, während sie fast nackt dastand, blitzte der Gedanke durch ihren Kopf, wie schön es war, in dieser Wohnung keine Angst mehr vor ihm haben zu müssen. „Idiot“, entfuhr es ihr erneut, eilte ins Bad und warf sich ihren Bademantel über. Von neuem begann sie ihre Wanderung durch alle Räume. Die Wut verrauchte. Schmerz breitete sich stattdessen in ihr aus, überall im gesamten Körper stachen Nadeln. Anfänglich versuchte sie, es zu ignorieren, bis die Stiche sich ihrer vollkommen bemächtigten. Der Schmerz klebte wie ein Geschwür auf ihrer Seele. Unaufhaltsam schickte es sein Gift durch ihren Körper. Eine panische Starre ergriff sie. Sie begann, mit ihrem Gefühl zu kommunizieren. Das Gefühl war die Sprache der Seele. Immer, wenn sie wissen wollte, was in Bezug auf sie wahr war, dann versuchte sie, aufzuspüren, was sie dabei fühlte. Oft war es schwer zu ergründen und noch schwerer, es anzuerkennen. Sie wusste, in den eigenen tiefsten Gefühlen verborgen lag die Wahrheit. Wie hatte Anke am Flughafen gesagt? Dieses Gefühl, das Thomas in dir hervorruft, ist das starke, stetig brennende Licht der Liebe, dem du vertrauen kannst, dass es nicht erlischt.“
Anke hatte recht. Sie vermochte tiefer in ihre Seele zu schauen als sie selbst. „ Mein Gott, ich liebe ihn, ich liebe ihn“, stieß Leonie laut hervor. In dem Moment löste sie sich aus ihrer Erstarrung. Alles in ihr war plötzlich in Aufruhr. Eilig schlüpfte sie in Jeans und Pulli. Warf sich vom Garderobenständer im Vorbeigehen die erstbeste Jacke über. Schnappte sich den Autoschlüssel. Riss die Haustür auf, ließ sie krachend hinter sich ins Schloss fallen, rannte um den Weinverkauf herum zum Parkplatz und schmiss sich regelrecht hinters Steuer des Smarts. Erst jetzt atmete sie durch. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. So schnell wie sie konnte fuhr sie nach Remagen. Sollte sie versuchen, ihn anzurufen? Ihr Handy lag in der Wohnung. Was, wenn er schon fort war? Flug nach Frankreich, dachte sie. Vom Köln-Bonner, von Düsseldorf? Wo würde er abfliegen? Sie musste ihn finden. Um sich zu beruhigen, atmete sie mehrmals tief ein und aus. Ein Gedanke schob sich zwischen ihre Atemzüge. Sollte sie noch einmal diese – sie vermied es bewusst, sie ihre zu nennen – Psychokinese anwenden? Ein allerallerletztes Mal, diesmal nur zu ihrem eigenen Glück?
Während sie noch darüber nachdachte, schob sich unwillkürlich ein Bild vor ihr inneres Auge ...: Sie sah seinen Wagen mit eingeschalteter Warnblinkanlage und geöffneter Motorhaube am Straßenrand stehen. Sie würde ihn finden. Nein! Keine Tricks, maßregelte sie sich energisch. Diesmal wollte sie kämpfen wie eine normale Frau, die sie sich immer zu sein gewünscht hatte. Während sie das Gaspedal durchtrat, murmelte sie: „Ich möchte jeden Morgen neben dir aufwachen und mindestens zehn Kinder mit dir haben.“
Herausgeberin:
Mona Misko, Ahrweiler Straße 41,53474 Bad Neuenahr
Fon:
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