Wir Ausgebrannten
habt, als ihr auf dem Bundesparteitag von einem besseren Redner um den Posten gelabert worden seid. Erklärt noch mal mit belegter Stimme, wie es sich zugetragen hat, als der Parteivorsitzende von seinen Stellvertretern durch einen anderen ersetzt wurde und der Parteivorsitzende von dieser Kabale am Abend aus dem Fernsehen erfahren musste. Ja, das war sehr bitter, eine Lektion, ich war am Rand des Abgrunds, es geht an die Substanz und so weiter.
Das Burnout und seine subtilen Geschwister die Verletztheit und die Kränkung, sind inzwischen zu einem Instrument politischer Sympathiegewinnung geworden. Wie groß war das Verständnis in der Bevölkerung, als der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck im April 2006 sein Amt als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Verfügung stellte, weil er den Anforderungen nicht mehr gewachsen war? Endlich hatte ein Politiker Schwäche gezeigt, endlich hat ein Amtsträger resigniert, weil er auch nur ein Mensch ist. Seit dem Rücktritt Platzecks, möglicherweise bereits seit dem dramatischen Ende des FDP-Politikers Jürgen Möllemann, ist die Verwundbarkeit von Politikern ein großes Thema. Und sie interessiert uns umso mehr, je härter der Bursche ist, den es erwischt hat. Immer mehr Politiker gestehen in intimen Gesprächen, dass sie ganz oft ganz kurz davor waren, die Brocken hinzuschmeißen und dem quälenden, verletzenden Betrieb einen ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen. Aber schließlich wog das Gefühl der Verantwortung für das Gemeinwesen doch stärker und der Politiker blieb im Amt, wenn auch mit einem Kranz von Wunden um die geschundene Seele.
In früheren Jahren musste der Spitzenpolitiker hart und unerschütterbar sein. Der Eindruck der Ausgebranntheit durfte erst gar nicht entstehen und die Putzerfische der Staatslenker taten alles dafür. Das berühmteste Beispiel für ein vertuschtes Burnout ist der frühere Bundeskanzler Willy Brandt, der in der Mitte seiner Amtszeit einfach im Bett liegen geblieben ist und Rotwein getrunken hat. Sein Parteigenosse Horst Ehmke zitiert sich heute gerne mit einem Satz, den er Brandt angeblich zugerufen hat, als der von allen Ermunterungen ungerührt blieb: »Willy, aufstehen, wir müssen regieren!«
DAS BURNOUT DER DEBATTENKULTUR
Während der letzten Amtsmonate des glücklosen Bundespräsidenten Christian Wulff – diese waren bekanntlich von der Diskussion um von Freunden bezahlte Urlaube, unbotmäßige Vorteilsnahmen und Nepotismus bestimmt – konnten kühle Zeitgenossen Folgendes beobachten: Während die Empörung über das ungeschickte Gebaren des Amtsinhabers in den Medien heftig und unversöhnlich war, hatte man in der Bevölkerung wenig Interesse an den Scherereien, die Wulff sich und der Republik bereitet hatte. Eine Mischung aus Indifferenz und Mitleid war festzustellen, und man konnte wohl behaupten, dass die Deutschen es selbst schon müde waren, sich über die Hybris ihres höchsten Repräsentanten zu echauffieren, der sich alles krallte, was ihm vor die Hände gehalten wurde, ohne zu überdenken, ob eine solche Nonchalance angesichts wegbrechenden Wohlstands in diesem Land gehörig war.
Journalisten mussten nun ran und das große Empörungsrad drehen, damit sich aus der Fehlleistung das notwendige Maß an Erregung destillieren lässt. Am Ende trat Christian Wulff zurück und die Resonanz war, nun ja, so lala. Es war eben einer gescheitert, so wie Tausende im Leben scheitern, wir erachten den Niedergang inzwischen für selbstverständlicher als den beruflichen Erfolg, von daher war der Herr Wulff aus Großburgwedel eben doch einer von uns. Es hätte aus dieser Affäre eine grundsätzliche Debatte, Gebildete sagen: ein Diskurs erwachsen können. Aber es wurden nur Diskussionen angerissen, es gab gewissermaßen eine paar Debatten-Torsi: Soll man das Amt abschaffen, soll man ein wachsames Auge auf die Privilegien der politischen Klassen werfen, zu der ja auch die Journalisten zählen, denen auch öfter mal Privilegien angeboten werden, sprich Reisen und Aufenthalte bezahlt werden. Aber zu all dem kam es nicht, die Angelegenheit wurde eine Sache der Staatsanwälte. Bei der Verabschiedung des Präsidenten erlebte man noch einmal ein groteskes Zerrbild des Wulff ’ schen Anspruchsdenkens: Er wünschte sich vier Lieder statt zwei vom Musikcorps der Bundeswehr, wütende Berliner entboten dem musikalischen Ereignis lärmende Widerklänge aus den Vuvuzelas, danach war das Ganze
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