Wir Ausgebrannten
dem Staatsbankrott stehen und die Verwahrlosung Athens und seiner Menschen nicht aufhalten können.
Im Ruhrgebiet regt sich seltsamerweise kein Protest gegen die Verwahrlosung der Städte und die Orientierungslosigkeit der Landesregierung. Man muss nur einmal das Treiben im satten Stuttgart mit dem Stillstand im Ruhrgebiet vergleichen. Im Süden sind sie saturiert und wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Im Ruhrgebiet ergeben sie sich ihrem Schicksal, so als sei es eine logische Folge der Weltgeschichte, dass ein Land, das einmal an der Spitze der produzierenden Regionen stand, nun gewissermaßen kaltgestellt ist.
Ein bisschen sieht es so aus, als habe der deutsche Osten dem tiefen Westen die ausgebrannte Fackel überreicht. Wir erinnern uns: Anfang der 90er-Jahre fuhren wir als interessierte Westdeutsche in die ehemalige DDR, um zu sehen, wie die Menschen dort gelebt haben. Die Straßen waren dergestalt, dass man nach der Reise ein neues Auto benötigte, und man wünschte den deutschen Nachbarn damals nichts dringlicher, als dass sie ihr Land renovierten. Der Deutsche Osten war nach 40 Jahren SED -Diktatur ausgebrannt und sollte nun wieder angefeuert werden. Aber das misslang – die Menschen waren ihrer Heimat müde, sie zogen in den Westen, die Straßen wurden besser, aber es fuhren kaum Autos auf ihnen.
Heute ist der Westen der neue Osten, sagt man so flott; manche nennen die Bürger des Ruhrgebiets auch »unsere Griechen« und damit ist nicht eine liebevolle Umarmung der Gastarbeiter gemeint, sondern das Synonym für den Abstieg mittelständischer Menschen in das Prekariat. Es ist eine Art soziales Burnout, den diese Region ergriffen hat, flankiert von den Erschütterungen im Kulturbetrieb, welche die klammen Kassen der Städte und Gemeinden auslösen. Als es vor zwei Jahren so weit kam, dass das Ruhrgebiet zum Weltkulturerbe ernannt wurde, gingen die Kommunen daran, alles zu fördern, was irgendwie nach Kultur aussah, um dem längst ausgebrannten Standort Ruhrpott wieder ein bisschen Zunder zu geben. Jeder, der ein kleines Atelier besaß, fand sich plötzlich subventioniert, in den alten Zechen wurden Lichtinstallationen angebracht und das ganze Revier geriet zu einem Event-Schauplatz. Gebracht hat es den Leuten eigentlich eher wenig. Familien, deren Ernährer arbeitslos geworden war, konnten sich die teuren Veranstaltungen eh nicht leisten, und letzten Endes hat die künstliche Förderung lediglich den Blick auf die leeren Kassen geschärft, die im Normalfall kein Geld für kulturelle Institutionen und Ideen bereithielten. Das Kulturhauptstadt-Jahr verführte die Organisationen dazu, Strohfeuer zu legen und damit Versprechungen zu geben, die sie nicht einlösen konnten. Theater, Kunst, Literatur – all diese wunderbaren Instrumente zur Sinngebung, zum Trost und zur Hoffnung unterliegen dem Spargebot, und es konnte nicht lange dauern, bis in diesem Land auch die Diskussion darüber, ob die institutionelle Kulturförderung kurz vor dem Burnout steht, ein Forum findet. Dies geschah vor einem halben Jahr in Gestalt der Streitschrift einiger Soziologen und Kulturmanager: Der Kulturinfarkt . Die Autoren forderten eine generelle Revision der Kulturpolitik dergestalt, dass sie die Subvention von Theatern und Opern überdenken solle, schließlich finde in den Häusern selten Innovatives statt und die Nachfrage werde kaum gedeckt. Über diese Thesen ist viel diskutiert worden. Letzten Endes sind der Furor des Buches und der Furor um dieses Buch Symptome einer Gefühlsmischung aus Überdruss und Wut: Irgendwas in unserer Gesellschaft macht uns krank und nervös, und dieses Gefühl lässt sich nur lösen, indem man möglichst viel über Bord wirft. Sinn und Verstand beurlauben wir, wenn es darum geht, unser Unbehagen wegzuradieren.
Krisenzeiten bieten Krämerseelen vorzügliche Gelegenheiten, alles zur Disposition zu stellen, was sie bei ihrem Hausmeistergang durch die Republik so sehen an Abfall und Überflüssigem. Natürlich kann man auch mit der alten Spießerseligkeit, dass Kunst überall immer derselbe Scheiß sei, Auflage machen und ein gewisses Maß an Popularität ist diesen kleinkarierten Gedanken auch sicher. Aber dass man gerade in einer Zeit, die so wenig Angenehmes bereithält, zu den großen Errungenschaften des Abendlandes zurückkehrt, dass man ins Theater geht, in die Oper, das Konzert – um so zu denken, müsste man in der Lage sein, kulturhistorische Zusammenhänge herzustellen, aber das
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