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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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gelangweilten Publikum seine SS-Mitgliedschaft offenbarte, sahen sich ein paar Interessierte noch einmal prüfend in seiner Novelle Im Krebsgang um und mochten kopfschüttelnd konstatieren, dass da einer mahnte und zeigefingerte, der doch selber … aber lassen wir das jetzt.
    Ach, unsere Alice Schwarzer, was hat sie uns in den vergangenen Jahrzehnten provoziert und mit ihrer Erbarmungslosigkeit zumindest beeindruckt. Aber wenn wir Frau Schwarzer heute zuhören, ist es oft so, als würde uns die Uroma erklären, was ein Zungenkuss ist. Es ist der Rauch vergangener Kämpfe, der diese Leute umweht, wir sehen sie in den Talkshows sitzen wie Fossile einer untergegangenen Diskurswelt, die besonders alt und gestrig wirken, wenn sie noch einmal mit den Hufen scharren und zum Kampf übergehen, jedenfalls zu dem, was sie für Kampf halten. Als Alice Schwarzer ihren tantenhaften Mahnbrief an die Sex-Autorin Charlotte Roche schrieb, ahnten wir, dass sich selbst auf dem Feld des Feminismus nicht mehr generationenübergreifend operieren ließ. Charlotte Roche mache sich von ihrem Mann abhängig, schrieb die Schwarzer, das Buch sei der Spiegel eines verspießerten Lebens. Dabei ist es in Wahrheit der Spiegel eines Lebens, das auf die alten Muster des Frau-Mann-Kampfgetöses nicht mehr viel gibt. Das überhaupt auf ideologische Grabenkämpfe keine Lust mehr hat.
    Ach, unser Günter Wallfraff, den wir vor 30 Jahren bewundernd in die Abgründe unserer Arbeitswelt begleiteten, der uns zeigte, wo gelogen wird und wo Menschen gefoltert werden und gedemütigt. Das zeigt er auch heute noch am Beispiel von Bäckereibetrieben oder Aldi. Im Fernsehen sagt er, dass er solche Geschäfte meide und lieber im Bioladen einkaufe. Das möchten viele, die bei Aldi einkaufen müssen, auch können. Aber es geht nicht – aus rein finanziellen Gründen.
    Wir haben keine Vorbilder mehr, die uns mehr über unser Leben erzählen können, als wir wissen. Und womöglich brauchen wir auch keine Vorbilder mehr, weil wir uns nicht mehr an den Erfolgreichen orientieren möchten. Uns stehen die Opfer näher, weil wir alle fürchten, bald zu ihnen zu gehören. Wir verehren die Menschen, die Tag und Nacht erreichbar sind und die am Ende doch nur der Therapeut in der Burnout-Klinik erreichen kann.
    Unsere Sorge ist nicht, ob bei Aldi die Kassiererinnen gemobbt werden, unsere Sorge ist nicht, ob Frauen von Männern abhängig sind und ob es zynisch ist, Israel eine Kriegsabsicht zu unterstellen.
    Unsere Sorge, unsere Angst, die wir in den täglichen Nachrichten widergespiegelt sehen, ist die Deklassierung. Und dagegen kämpfen wir, bis wir ausgebrannt sind.

AUSGEBRANNTE LANDSCHAFTEN
    Das Zeitalter des Burnouts kennt nicht nur Fallgeschichten von Managern, Unternehmensberatern, Sportlern, Künstlern, Studenten und Politikern. Wir können inzwischen sogar Reisen in Landschaften unternehmen, welche die Resignation und die Erschöpfung unserer Leistungsträger widerspiegeln. Eines der jüngsten Beispiele in Deutschland ist das Ruhrgebiet, von dem bereits kurz die Rede war, als es um den Vergleich der Arbeit damals und heute ging. Bereist man dieser Tage diese von Tüchtigkeit und Härte geprägte Gegend, wird man allerorten auf Symptome der Resignation stoßen, von denen manche sogar am Erscheinungsbild der Kommunen abzulesen sind. In einigen Städten des Ruhrgebiets sind während des kalten Winters die Straßen aufgeplatzt. Die Verwaltungen verfügen nicht über das Geld, die Schäden zu reparieren, und somit sehen große Teile dieser einmal so starken Region aus wie die Landschaften in Ostdeutschland zu der Zeit, als sie noch keine blühenden Landschaften waren. In den Schwimmbädern wird die Heizung abgestellt, weil die Kommunen sich die Kosten nicht mehr leisten können. Innerhalb weniger Jahre entrückte die Region der wirtschaftlichen Prosperität, große Industrien gingen zugrunde, der Einzelhandel, der an diesen Industrien hing, verschwand aus den Innenstädten und die Menschen sanken mehr und mehr in eine stille Resignation, wie man sie aus dieser Gegend bis dahin nicht kannte. Dass einem Land die Kraft abhandenkommt, hatte man bislang nur aus Ländern Lateinamerikas gekannt, in denen die Menschen zuerst aufständisch und dann lethargisch wurden. Neuerdings schaut man mit halbem Interesse nach Griechenland, wo die Menschen kaum noch wissen, wem sie ihre Wut entgegenschleudern sollen – den Deutschen, den Europäern oder den eigenen Politikern, die machtlos vor

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