Wir Ertrunkenen
Schwimmweste. Sie vermuteten, dass es sich um Flüchtlinge wie sie handelte.
Hört es denn niemals auf?, dachte Knud Erik.
Die Euphorie, entkommen zu sein, war verschwunden. Sie begriffen, dass sie noch immer auf ihr Glück setzen mussten, wenn sie lebend über
die Ostsee kommen wollten. Sie fuhren auf einem deutschen Schiff, und es gab nichts, was die nächste Hawker Typhoon, die sie überflog, daran hindern sollte, ihre todbringende Last abzuwerfen. Fünf Jahre hatten sie keine Dannebrog-Flagge mehr gesehen. Nun wünschten sie, sie hätten eine. Aber möglicherweise würde nicht einmal die Flagge nützen. Es war, als würde das Meer sich umstülpen und die Tausende ausspeien, die über Jahrhunderte auf seinem Grund ihr Ende gefunden hatten. Es war das Meer der Ertrunkenen, über das sie fuhren, und sie fühlten sich mit ihnen verbunden.
Knud Erik stand am Ruder. Er befahl, die Schwimmwesten anzuziehen. Es gab nicht genug für alle. Knud Erik sah einen Augenblick hinüber zu Herman, der in seinem Rollstuhl saß. Dann zuckte er resigniert die Achseln. Kapitän Boye war ertrunken, weil er seine Rettungsweste einem Heizer gab, der seine eigene im Maschinenraum vergessen hatte. Nun reichte er seine Weste Wally und befahl ihm, Herman dabei zu helfen, sie anzuziehen. Wurden sie versenkt, opferte er sein Leben für einen Mann, den er verachtete, aber er hatte keine Wahl. Eines hatte der Krieg ihn gelehrt. Es mochte sein, dass die Alliierten dafür kämpften, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, aber das Leben selbst kannte keine Gerechtigkeit. Er war der Kapitän und hatte die Verantwortung für seine Besatzung. Diese Pflicht war das Einzige, was ihm blieb, wenn er sich nicht der reinen Sinnlosigkeit ergeben wollte.
«Ziehst du keine Schwimmweste an?», fragte Sophie, die den Blick nicht bemerkt hatte, mit dem er Herman bedachte.
Er tat es mit einem Lächeln ab.
«Der Kapitän ist immer der Letzte, der das Schiff verlässt. Er ist auch der Letzte, der eine Schwimmweste anzieht.»
«Du bist ein richtiger Odysseus», sagte sie und erwiderte sein Lächeln. «Und du hast sogar so viel Glück, dass deine Penelope bei dir an Bord ist.»
«Wir Seeleute sollten uns besser nicht mit Odysseus vergleichen», erwiderte er. «Wir sind eher Odysseus’ Leute.»
«Was meinst du?»
«Hast du die Geschichte gelesen?»
Sie zuckte die Achseln.
«Nicht so richtig.»
«Eigentlich ist es eine ziemlich deprimierende Lektüre. Odysseus ist der Kapitän, right? Er erlebt ein phantastisches Abenteuer. Aber es gelingt ihm nicht, einen einzigen seiner Männer lebend nach Hause zu bringen. Das ist die Rolle, die wir Seeleute in diesem Krieg spielen. Wir sind Odysseus’ Männer.»
Sie sah ihn an.
«Dann musst du dich wohl mehr ins Zeug legen, Kapitän Odysseus», erwiderte sie. «Dieser Seemann hier ist nämlich zufällig schwanger.»
In der Nacht liefen sie mit halber Kraft und löschten die Positionslampen. Sie waren dem Ziel so nah, und doch hatte es den Anschein, als würde die Nähe ihre Angst, Marstal nicht zu erreichen, nur vergrößern. Bisher hatten sie in der Zeitdimension gelebt, in der alle leben, die ihr Vertrauen auf das sich ständig verändernde Glück setzen: dem Augenblick. Nun wagten sie wieder, daran zu glauben, dass sie eine Zukunft hatten, und mit einem Mal war die Angst da, ihr Leben zu verlieren. Die alte Angst aus der Zeit der Konvoifahrten kehrte zurück. Der Himmel über ihnen und das Meer unter ihnen füllten sich aufs Neue mit verborgenen Gefahren.
Es war windstill. Die Meeresoberfläche breitete sich vor ihnen aus wie dunkelblaue Seide; die helle Frühlingsnacht war wolkenlos. Eine angenehm milde Luft kündigte den Sommer an, und wäre da nicht der Geruch des Schleppers nach Kohlen und geteerten Hanftauen gewesen, hätten sie den Duft der blühenden Apfelbäume auf dem Land wahrnehmen können. Aber das Wasser war kalt. Noch steckte der Winter darin, und das Einzige, an das sie denken konnten, war diese Kälte. Als ob sie noch immer im nördlichen Eismeer fuhren. Noch einmal hielten sie Ausschau nach Schaumstreifen auf dem Wasser, dem Zeichen der Torpedos, und nach roten Notfeuern, die ihren moralischen Bankrott verkündet hatten und es wieder tun konnten. Sie horchten auf Ruderschläge, einen Hilfeschrei. Sie hielten ihre ewige Generalprobe für den Kältetod ab. Das Frühjahr entbot ihnen einen Willkommensgruß, doch die Erinnerung an den fünf Jahre währenden Winter, den sie durchgemacht hatten,
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