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Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)

Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)

Titel: Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catharina Ingelman-Sundberg
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fortwollte. Ach, wie wunderbar war doch ihr Traum gewesen … Es hatte sich so echt angefühlt, als hätte sie tatsächlich in dieser Bank gestanden, als hätte ihr Unterbewusstsein das Kommando übernommen und ihr etwas sagen wollen. In der Schule war sie gegen Missstände immer auf die Barrikaden gegangen. Noch als Lehrerin hatte sie sich unsinnigen Vorschriften und blödsinnigen Umstrukturierungen widersetzt. Aber hier im Heim hatte sie sich komischerweise einfach damit abgefunden . Wie hatte sie nur so träge werden können? Menschen, die die Regierung eines Landes abschaffen wollen, machen eine Revolution. Das müsste doch auch hier möglich sein, sie musste nur die anderen überzeugen. Und ein Banküberfall, das wäre doch eine Idee? Sie lachte auf, etwas nervös. Denn genau das war ja das Beängstigende – dass ihre Träume normalerweise in Erfüllung gingen .

1
    Als die Bewohner des Seniorenheims Diamant im Saal ihren Morgenkaffee tranken, überlegte Märtha, was sie tun sollte. In ihrem Elternhaus in Österlen hatte man nicht lange gefackelt oder darauf gewartet, dass ein anderer zur Tat schritt. Wenn Heu gemacht werden musste oder eine Stute fohlte, dann setzte man sich in Bewegung. Märtha hob ihre Hände. Auf die konnte sie stolz sein, schließlich sah man ihnen an, dass sie in ihrem Leben immer angepackt hatten, wenn Not am Mann gewesen war.
    Die Geräuschkulisse um Märtha herum war mal lauter, mal leiser. Im Gemeinschaftsraum, der ziemlich heruntergekommen war, roch es schon von weitem nach Bahnhofsmission, und die Möbel sahen aus, als hätte man sie direkt vom Sperrmüll geholt. Der alte, graue Eternit-Bau aus den späten Vierzigern wirkte wie eine Mischung aus altem Schulgebäude und Zahnarzt-Wartezimmer. Hier wollte sie kaum ihre letzten Tage verbringen, mit Automatenkaffee in der Hand und Astronautenessen im Magen. Nein, ums Verrecken nicht! Märtha atmete tief ein, schob den Kaffeebecher zur Seite und beugte sich vor.
    »Hört mal. Was haltet ihr von einer zweiten Tasse bei mir auf dem Zimmer?«, fragte sie und machte eine Handbewegung, ihr zu folgen. »Ich glaube, wir haben einiges zu besprechen.«
    Und weil sie wussten, dass Märtha einen ordentlichen Vorrat an Moltebeerenlikör angelegt hatte, nickten sie zustimmend und standen sofort auf. Der flotte, aber nachts immer hungrige Kratze ging voran, danach kamen Snille, der Erfinder, und Märthas Freundinnen, Stina, die belgische Schokolade so liebte, und Anna-Greta, die alle anderen Damen in den Schatten stellte. Sie sahen sich an. In der Regel lud Märtha nur zu einem Gläschen ein, wenn sie etwas im Schilde führte. Das letzte Mal war schon eine Weile her, aber offenbar war es nun wieder so weit.
    Als alle da waren, holte Märtha die Flasche hervor, räumte ihr halbfertiges Strickzeug vom Sofa und bat ihre Freunde, Platz zu nehmen. Sie warf einen Blick auf den Mahagonitisch mit dem frisch gebügelten, geblümten Deckchen. Eigentlich wollte sie sich schon lange einen neuen anschaffen, doch der alte Tisch war stabil und groß genug für all ihre Freunde. Das sollte reichen. Als sie nach der Flasche griff, warf sie einen Blick auf ihren Schreibtisch, auf dem die Familienfotos aus Österlen standen. Hinter Glas und Rahmen lächelten ihr die Eltern und ihre Schwester zu. Sie standen vor dem Elternhaus in Brantevik. Wenn die wüssten, was sie hier tat! Sie waren nämlich bekennende Nichttrinker. Demonstrativ stellte Märtha die Likörgläser auf den Tisch und schenkte großzügig ein.
    »Prost, Kameraden«, sagte sie und erhob ihr Glas.
    »Im tiefen Keller sitz ich hier«, stimmten die Freunde lustig an.
    Doch Märtha bedeutete ihnen, ihr Trinklied tonlos zu singen. (Hier im Heim war es lebensnotwendig, keinen Lärm zu veranstalten und nicht mit verstecktem Likör entdeckt zu werden.) Märtha wiederholte den Refrain nur mit Mundbewegungen, und alle lachten aus voller Kehle. Noch war ihnen niemand auf die Schliche gekommen, und die fünf hatten jedes Mal einen Heidenspaß. Märtha stellte ihr Glas ab und schielte zu den anderen. Sollte sie ihnen von ihrem Traum erzählen? Nein, erst einmal musste sie sie auf dieselben Gedanken und dann auf ihre Seite bringen. Die Freunde waren ein eingeschworenes Trüppchen, das schon früh beschlossen hatte, im Alter zusammenzuziehen. Also konnte man sich doch auch mit allen zusammen etwas Neues vornehmen? Sie hatten so vieles gemeinsam. Nach der Pensionierung waren sie mit ihrem Chor »Stimmband« in Kranken-

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