Wir haben gar kein Auto...
es eilig hast oder in Gedanken bist, vergisst du es schnell mal. Versuche daher, es zu einem Automatismus werden zu lassen: Entweder bringst du das Schloss immer an, und dadurch wird es zu einer automatischen Handlung, oder du bringst es nie an.
3.
Frage dich immer, wohin du fährst und warum du fährst. Die Frage stellt sich hier ganz spontan. Was hat mich bloà getrieben, die Strecke München â Meran mit dem Fahrrad zurücklegen zu wollen? Kurz: Wer hat mich dazu gebracht?
Ich glaube nicht, dass ich in meinem früheren Leben Radfahrer gewesen bin, obwohl meine ausgeprägten Waden darauf hindeuten könnten. In diesem Leben allerdings kann ich mich einer Geburt »ad hoc« an dem Ort rühmen, an dem eine der italienischen Radsportlegenden der siebziger Jahre das Licht der Welt erblickte: Vito Taccone, besser bekannt als
Camoscio dâAbruzzo â
die »Gemse der Abruzzen«.
Meine Geburtsstadt Avezzano ist â leider â durch jenes unglückselige Erdbeben von 1915 (eines der verheerendsten Erdbeben, die es jemals in Italien gegeben hat) in Erinnerung geblieben, das die Stadt dem Erdboden gleichgemacht und mehr als 29 000 Opfer gefordert hat, aber auch durch die Siege des groÃen Vito Taccone beim Giro dâItalia. Das hat die Menschen geprägt. Ich erinnere mich noch gut an einen alten Onkel, der erst im ehrwürdigen Alter von zweiundachtzig Jahren das Radfahren aufgab.
Trotzdem bin ich eigentlich nicht geneigt anzunehmen, dass diese wenigen Ausnahmen mich zu dieser Tour de force nach Meran veranlasst haben. Wahr ist vielmehr, dass meine Lebensgefährtin Jutta Speidel den entscheidenden Anstoà für dieses Unternehmen gegeben hat.
Ich habe bisher nur wenige lange Radtouren unternommen, doch wenn ich auf unserer Fahrt über die Alpen mit einer anstrengenden Bergetappe zu kämpfen haben werde und der Körper von der Anstrengung völlig ausgetrocknet sein wird, dann werde ich mich glücklich schätzen, eine Gefährtin zu haben, die mir etwas zu trinken reicht.
Das darf man sich dann ungefähr so vorstellen wie bei dem mythischen Gespann Coppi/Bartali. Die Rivalität zwischen Fausto Coppi und dem anderen GroÃen des italienischen Radsports, Gino Bartali, die das Land in der Nachkriegszeit spaltete, war legendär. Ein berühmtes Zeugnis, das eine ganze Sportepoche unsterblich gemacht hat, ist das Foto, auf dem die beiden Helden sich bei einer der zahlreichen Bergetappen der Tour de France von 1952 eine Flasche mit Wasser reichen. Es wurde nie geklärt, ob Coppi damals seinem Rivalen Bartali etwas zu trinken gab oder umgekehrt, ein Geheimnis, das auch die beiden Protagonisten nie lüfteten (indem nämlich beide stets behaupteten, dem anderen geholfen zu haben).
Jutta würde mich nie verdursten lassen. Aber auch so hat mir der Gedanke, eine Reise in Begleitung zu machen, sehr gefallen. Gemeinsam ist es nun mal schöner. Abgesehen davon ist Jutta die beste Reisegefährtin, die man sich wünschen kann. Wir sind zwar zwei sehr unterschiedliche Charaktere, aber vereint durch denselben roten Faden und dieselbe Vorstellung vom Reisen.
Bekanntlich hat jeder seine eigenen Erklärungen für die Manie, sich im Urlaub mit Muskelkraft auf zwei Rädern fortzubewegen, und die Erfahrungen sind ebenso zahl- wie abwechslungsreich. Da wäre zum einen die Reise verstanden als Leichtigkeit, als existenzielles Nomadentum, Eliminierung des Ãberflüssigen, mystischer Akt, Auspacken, Therapie, Wallfahrt. Vielleicht geben uns das alles auch unsere Reisebusse â und noch mehr. Doch grundsätzlich vereint Jutta und mich der Wunsch, allein zu sein, allein mit der Natur, unsere beiden Taschen im Gleichgewicht auf dem Gepäckträger.
Wichtig ist, sich ein Ziel zu setzen: »Wohin fahren wir?«, und, wenn möglich, einen Sinn: »Warum?«
Ich bin in meinem Leben beständig umhergezogen, und wie Chatwin habe ich oft theoretisch über den Vorteil nachgedacht, sich zu verirren, ohne eine Karte dabeizuhaben. Aber dann habe ich mich mit vierzig tatsächlich mal verirrt. Die lange StraÃe, auf der ich unterwegs war, war plötzlich nicht mehr befahrbar. Ich musste einen anderen Weg finden.
Der »Weg den Hügel hinunter« ist für einen Mann jenseits der vierzig immer schwierig, doch meiner war eine besondere Herausforderung. Ich habe die Menschen unglücklich gemacht, die mir am
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