»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
können. Immer häufiger fühlte ich mich an alte Sun-Jet-Zeiten erinnert: Auf meinem bis zu vierzehn Stunden langen Arbeitstag, dem oft ein nur achtstündiger Aufenthalt im Flughafen-Hotel vorausging, musste ich mir alle möglichen Beleidigungen anhören. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ich parallel dazu das Treiben in der Kabine im Auge behalten musste.
Beschweren sich Passagiere heutzutage über den »schlechten Service«, nehme ich das nicht persönlich, denn mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln kann ich nicht mehr bieten. Ich arbeite hart, härter noch als früher, um eine Arbeit zu machen, auf die ich sehr stolz bin. In Wahrheit ist der Service, den wir den Menschen bieten, nicht schlecht, sondern lediglich stark eingeschränkt. An der Art und Weise, wie ich meine Fluggäste bediene, hat sich nichts geändert. Ich tue also so, wie man es mir vor fünfzehn Jahren beigebracht hat. Der Unterschied ist, dass wir heute für eine kleine Flasche Wein in der Holzklasse 7 Dollar und 10 Dollar für ein Truthahnsandwich mit Pommes frites kassieren müssen. Mein Job hat sich verändert, um auf die Bedürfnisse der Passagiere eingehen zu können – billige Tickets. Aber aus irgendeinem Grund scheinen heute alle unter Kaufreue zu leiden, selbst mein eigener Mann, der geschäftlich mehr als hunderttausend Meilen pro Jahr fliegt. Als wir uns kennenlernten, witzelte er noch, ich sei ja ein echter Volltreffer, der reinste Sechser im Lotto: Freiflüge bis zum Abwinken. Doch heute, neun Jahre später, bezahlt er lieber für sein Ticket.
Apropos Ehemann: Vier Monate nach der verrückten Prognose der Hellseherin traf ich ihn auf einem Flug nach Los Angeles. Anfangs fiel er mir gar nicht auf. Doch als ich den Wagen mit den Salaten aus der Bordküche schob, blieb mein Blick am leckersten Sandwich hängen, das ich je gesehen hatte. Es war bemerkenswert: Ein Passagier in der Business-Class hatte sein eigenes Essen mit an Bord gebracht.
»Das sieht aber lecker aus«, bemerkte ich im Vorbeigehen.
»Ist es auch. Wollen Sie mal beißen?«
Oh, und wie gern! Natürlich schlug ich sein Angebot aus, schließlich war ich im Dienst. Aber seine Freundlichkeit wusste ich zu schätzen, deshalb stellte ich ihm als Dankeschön eine Extraflasche Mineralwasser hin. Normalerweise ist nur eine Flasche pro Passagier vorgesehen, doch da es zwei Tage vor Silvester und seit dem 11. September erst dreieinhalb Monate vergangen waren, herrschte wenig Betrieb an Bord.
Zu jener Zeit war der Mann auf 10J überhaupt nicht mein Fall. Sie erinnern sich vielleicht, dass die Männer, auf die ich damals stand, mehr der Typ egoistischer Idiot waren. 10J war nicht nur kleiner, als ich mir meinen Traumprinzen vorstellte (immerhin war er größer als ich, wenn auch nur ein paar Zentimeter), er hatte auch noch eine Glatze. Okay, eine freiwillige, rasierte, aber der springende Punkt war, dass ich nun mal Haare mochte, am liebsten eine richtig dicke Mähne! Aber er war nett. Und wirklich süß für einen Typen in Jeans und T-Shirt, der so gar nicht aussah, als gehöre er in die Business-Class.
Dennoch fand ich eine Sache richtig toll an ihm: Der Mann teilte gern – auch mit einer Flugbegleiterin! Das ist an Bord keineswegs an der Tagesordnung, deshalb war mir auf Anhieb klar, dass er etwas ganz Besonderes war. Ich hatte tausendfach miterlebt, wie Passagiere sich einen Stift von mir liehen und ihn nicht zurückgaben; manche ließen auch die Zeitung mitgehen, die auf meiner Handtasche lag. Einer klaute sogar mal einen Egg McMuffin von meinem Klappsitz und dachte sich offenbar nichts dabei, bis ihm dämmerte, wer der rechtmäßige Besitzer sein könnte! Aber selbst wenn 10J mir keinen Bissen von seinem Sandwich angeboten hätte, hätte ich vermutlich mehr als einen Gedanken an ihn verschwendet, denn allein dieses Sandwich verriet mir, dass er wusste, was er wollte und was gut für ihn war. Dieser Mann konnte für sich selbst sorgen, und das in der Business-Class!
Viele der Passagiere in den höheren Klassen erscheinen völlig überfordert vom Alltag. Einmal ließ ein Passagier sein Essen zurückgehen, nur weil sein Truthahnwürstchen mit dem Rührei in Berührung gekommen war. Ein berühmter Sänger ließ mich mehrmals einen frischen Tee servieren, weil »so komische schwarze Dinger« (Teeblätter) in seiner Tasse herumschwammen. Und eine Frau ließ mich allen Ernstes einen Eiswürfel aus ihrem Mineralwasser fischen, weil sie um drei und nicht um vier
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