»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
hinter dem Cockpit und verstauten sie ganz weit hinten in einem Gepäckfach. Nur zur Sicherheit. Es gab aber auch Passagiere, die die Situation weidlich ausnutzten. So saß in einer anderen Maschine ein älterer Herr aus dem Mittleren Osten in der ersten Reihe der Economy und ließ während des gesamten Flugs den Koran sowie ein Buch über Waffen auf dem Klapptisch vor sich liegen, wo jeder sie sehen konnte. Wir ignorierten ihn und die finsteren Blicke, die er uns zuwarf. Sein Gehabe war viel zu aggressiv, als dass wir ihn wirklich ernst nehmen konnten. Außerdem spürten wir, dass er nur darauf wartete, uns zu verklagen.
Selbst heute, zehn Jahre später, fühle ich mich automatisch an jenen Tag im September zurückversetzt, wenn ich von einem Flugzeugunglück höre – im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen werden wir durch unsere Arbeit tagtäglich an diese Katastrophe erinnert. Sobald ich bei der Sicherheitskontrolle meine Schuhe ausziehe, bis zu dem Moment, wenn die Maschine zum Gate rollt, muss ich an das denken, was an Bord dieser Maschinen passiert ist. Das waren meine Flugzeuge. Meine Kollegen. Meine Passagiere.
Nach dem 11. September haben viele Kollegen ihre Arbeit verloren. Und diejenigen, die von Kündigungen verschont blieben, mussten schmerzhafte Lohnkürzungen in Kauf nehmen. Die Arbeitszeiten wurden länger, die Layover kürzer, und die Airlines besetzten ihre Maschinen mit gerade so vielen Crewmitgliedern wie von der FAA vorgeschrieben. Was früher selbstverständlich war, zum Beispiel Kissen oder Decken, gibt es heute nicht mehr an Bord. Die eine oder andere Airline musste in Folge des 11. September Konkurs anmelden. Unsere alljährliche Fortbildungsmaßnahme wurde um einen Pflichtkurs erweitert: Karate. Und wir diskutieren noch heute darüber, wie man mit einer Tasse siedend heißem Kaffee und anderen Gegenständen, die ich hier nicht nennen darf, einen Terroristen abwehren kann.
Falls die Passagiere nicht ohnehin ausblieben, weil sie Angst vor Flugreisen hatten, konnten sie sich die hohen Ticketpreise nicht länger leisten, deshalb mussten die Airlines sie drastisch senken. Innerhalb kürzester Zeit gingen die Tarife dermaßen in den Keller, dass man für einen einfachen Hinflug ans andere Ende des Landes etwa gleich viel bezahlte wie für ein Paar Designer-Jeans. Im Juli 2011 warb meine Airline mit einem Sonderpreis von sage und schreibe 46 Dollar für einen Flug von Los Angeles nach Las Vegas – so viel blättert man für ein Taxi von JFK nach Manhattan hin! Da die Fluggesellschaften wild entschlossen waren, die Maschinen mit Hilfe von extrem billigen Tickets bis auf den letzten Platz zu füllen, hatten viele pendelnde Flugbegleiter Mühe, überhaupt zur Arbeit zu kommen. Ich habe schon mehrfach miterlebt, wie sich Kollegen bei der Frage, wer den einzigen noch freien Klappsitz auf einem Flug bekommen soll, fürchterlich in die Wolle bekamen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wurde als Erstes die kostenlose Verpflegung in der Holzklasse gestrichen. Den Airlines fehlte das Geld für das Essen selbst, für die zusätzlichen Treibstoffkosten durch das erhöhte Gewicht, für die Cateringfirmen, die für die Bestückung der Maschinen zuständig waren, und für die Flugbegleiter, die es den Passagieren servierten.
Langsam, aber sicher kehrten die Menschen in die Flugzeuge zurück. Die Schränke in der First Class mussten zusätzlichen Passagiersitzen weichen. Die Tarife blieben niedrig, und Fliegen war plötzlich für jedermann bezahlbar, für viele sogar mehrmals pro Jahr. In der Vergangenheit flogen zum Beispiel die meisten Familien bestenfalls in den Sommerurlaub, doch seit dem 11. September begegnet man ihnen das ganze Jahr über. Es gibt keine saisonalen Unterschiede mehr, jetzt herrscht fast immer Hochkonjunktur. Die Zahl der Vielflieger ist so drastisch gestiegen, dass die Airlines VIP -Clubs gründen mussten, um die Fluggäste mit einer Million Flugmeilen von jenen abzugrenzen, die es auf drei Millionen im Jahr bringen. Die Maschinen waren mit einem Mal proppenvoll, und die Schlangen vor den Sicherheitskontrollen wuchsen und wuchsen, während die Reisenden immer schneller die Geduld verloren, sowohl mit dem Personal als auch mit den anderen Passagieren an Bord. Sie blieben nicht auf ihren Plätzen sitzen, bis die Maschine ihre Parkposition erreicht hatte, sondern sprangen, wenn es mit dem Anschlussflug knapp wurde, auf und rannten nach vorn, nur um als Erste die Maschine verlassen zu
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