»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
von hier. Beim Anblick der Aufkleber mit einer Adresse in Japan überfiel mich eine tiefe Traurigkeit. Nun würde ich nie mehr hören, wie die Opernsängerin, mit der ich außer einem kurzen »Hallo« im Aufzug kaum ein Wort gewechselt hatte, den Hausflur mit ihrem wunderbaren Gesang erfüllte. Während die Menschen New York in Scharen verließen und der eigentümliche Geruch beharrlich in den Straßen hing, gingen meine Kolleginnen und ich wieder an die Arbeit, zurück in unsere Maschinen. In der Einsatzzentrale wurden Gedenkschriften für jene Kollegen aufgehängt, die am 11. September ums Leben gekommen waren.
Ich erinnere mich noch wie heute an einen Anflug auf New York, als die Maschine ganz tief über die Stadt flog. Alle Passagiere versuchten einen Blick auf die Stelle zu erhaschen, wo einst das World Trade Center gestanden hatte und nun nichts als ein dunkles, gähnendes Loch klaffte. Es schwelte schon viel zu lange vor sich hin. Ich fragte mich, ob die Piloten den Flieger absichtlich für einen Moment in Richtung Ground Zero neigten, im Gedenken an die Tragödie, die sich an dieser Stelle ereignet hatte.
Fliegen war nicht mehr, was es davor gewesen war. Wir hatten Angst. Alle. »Was würdest du tun, wenn etwas passieren würde?«, fragte mich ein Kollege einmal während des Starts.
Ich hatte durchaus ein paar Ideen, was ich tun könnte , aber ob ich es, wenn es hart auf hart käme, auch tun würde , stand auf einem anderen Blatt. Wie oft saß ich während des Starts auf meinem Klappsitz und betete inbrünstig, dass es niemals dazu kommen möge!
Und wenn, dann sollte es bitte gleich und nicht erst nach dem Service passieren. Ich wollte mir nicht zuerst all die Arbeit machen und dann sterben müssen.
»Also, ich würde Folgendes tun«, hörte ich eine Stimme neben mir. Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich meinen Kollegen völlig vergessen hatte. Er zeigte auf den Getränkedoseneinsatz auf dem Boden vor dem Klappsitz – ein himmelschreiender Verstoß gegen die FAA -Vorschriften –, schnappte sich eine Dose Pepsi und deutete eine aggressive Schlagbewegung an. »Bam! Bam! Bam!«
»Du würdest den Attentäter mit Pepsi kaltmachen?«, fragte ich.
»Besser als nichts.«
Alle Kollegen, mit denen ich sprach, hatten sich eine Verteidigungsstrategie zurechtgelegt, und jede davon war einfallsreich und bis ins Detail ausgeklügelt. Abgeschlagene Hälse von Weinflaschen, kochend heißer Kaffee, Sitzkissen, völlig egal, Hauptsache, es hatte Potential als Waffe. Eine Flugbegleiterin behauptete, sie habe stets Salz und Pfeffer in der Tasche, die sie dem Attentäter im Ernstfall in die Augen reiben würde. Ich entschied mich ebenfalls für die Dosentaktik. Allerdings würde ich sie nicht durch die Kabine schleudern, sondern sie in einen Kniestrumpf stopfen, den ich dann wie ein Lasso schwingen konnte, falls irgendwer auf die Idee kommen sollte, auf einem meiner Flüge Ärger zu machen. Ich ging sogar so weit und versteckte in jeder Maschine, auf der ich eingeteilt war, eine Socke und eine Limodose in der Sitztasche hinter der letzten Reihe.
In dieser Zeit wuchsen Flugbegleiter und Passagiere spürbar enger zusammen, so wie es auch der Rest der Welt zu tun schien. Wir waren ein Team, und jeder bot seine Unterstützung an. Ab und zu, wenn auch sehr selten, kam es zu seltsamen Zwischenfällen: Beispielsweise suchte ein dunkelhäutiger Passagier auf einem Flug auffallend häufig mit einer McDonald’s-Tüte in der Hand die Bordtoilette auf. Es war fast, als wolle er einen »Testlauf« starten, um anderen zu zeigen, wie wir reagieren würden, falls später jemand auf die Idee kommen sollte, eine Bombe in einer McDonald’s-Tüte dort zu deponieren. Nachdem wir den Kerl über Funk angezeigt hatten, wurden wir von einer ganzen Armee von Vertretern jeder erdenklichen Polizeibehörde des Planeten bei der Landung in Empfang genommen. Nachdem sie den Typen eine Stunde lang ausgequetscht hatten, ließen sie ihn wieder laufen. Allerdings erfuhren wir später, dass er sich nur ein Hinflugticket gekauft und dies bar bezahlt hatte. Außerdem war sein Reisepass nagelneu. Und war es auch ein Zufall, dass er schon bald seine Ausbildung in Florida beginnen würde? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. In derselben Maschine saßen auch drei Musiker aus dem Mittleren Osten, die mit ihren Gitarren an Bord kamen und während des Flugs ständig die Plätze tauschten. Wir nahmen ihre Instrumente aus dem Schrank in der First Class
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