»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
verschwanden. Yakov, der Eigentümer des Hauses und unser Vermieter, begrüßte die beiden Ordnungshüter an der Tür und erklärte ihnen strahlend, wir seien nicht etwa Mieterinnen, sondern wir gehörten zur Verwandtschaft. So wurde ich kurzerhand zur Gattin von Yakov, einem übergewichtigen, ständig schwitzenden, russischen Taxifahrer. Dann zeigte Yakov auf Jane, meine Mitbewohnerin und neue Freundin, und erklärte: »Meine Schwester!« Jane fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, trotzdem rang sie sich ein Lächeln ab und nickte. Unsere anderen fünf Hausgenossinnen waren gerade bei der Arbeit, wurden jedoch kurzerhand als Cousinen deklariert. Die Männer zuckten nicht mit der Wimper, bestanden aber auf einem Rundgang durchs Haus, den Yakov bereitwillig übernahm. Kurz darauf waren sie wieder verschwunden. Ich konnte nur staunen, in welchen Schlamassel ich mich jetzt wieder hineinmanövriert hatte.
Zehn Jahre zuvor hatte Yakov das zur Zwangsvollstreckung ausgeschriebene zweigeschossige Wohnhaus in Forest Hills, einer begehrten Gegend in Queens, für schlappe zweihunderttausend Dollar erstanden. Zumindest war das die Geschichte, die mir erzählt wurde. Das Haus hatte fünf Schlafzimmer, von denen zwei ohne Genehmigung umgebaut worden waren und nun für zweihundert Dollar pro Monat vermietet wurden. Früher einmal war mein Zimmer Teil des Wohnzimmers gewesen, und Jane schlief im ehemaligen Wintergarten. Tricia, Grace und Agnes bewohnten die drei anderen Schlafzimmer im oberen Stockwerk, und zwei Pendlerinnen, Dee Dee und Paula, teilten sich für je fünfundsiebzig Dollar den Dachstuhl, was ziemlich preiswert war.
Yakov lebte im Keller des Hauses. Keine von uns hatte je einen Fuß in das Apartment gesetzt, das er sein Zuhause nannte, und niemand verspürte auch nur das geringste Verlangen, es jemals zu tun. Unsere Angst, was wir dort vorfinden würden, war viel zu groß – eine Leiche, eine Gummipuppe, einen Schrank voller Frauenkleider oder, noch schlimmer, mit persönlichen Andenken von uns. Wir wollten lieber nicht wissen, was genau sich dort unten abspielte, und ich hielt nach meinen Erfahrungen mit Victor alles für möglich. Wann immer ich die wenigen Stufen zu Yakovs Tür hinunterging, um die Miete in den kleinen Holzkasten zu legen, den er davor aufgehängt hatte, hoffte ich inständig, er möge nicht in dieser Sekunde herauskommen. Ich wollte unter keinen Umständen einen unfreiwilligen Blick in seine Privaträume werfen müssen!
Unsere Ängste und Befürchtungen hatten einen ganz einfachen Grund: Yakov ging die Dinge ein wenig anders an als andere Menschen. So verwendete er beispielsweise Kerosin, um den alten Linoleumboden zu entfernen. Gleich neben der Hintertür im Garten des Hauses, unter der grün-weiß gestreiften Markise über seiner Tür, befand sich eine kleine Betonmauer, wo er einen Karton mit Eiern und ein Stück Käse lagerte. Yakov lief immer in derselben blauen Jogginghose herum, die um seine gewaltigen Waden schwappte, dazu trug er dünne weiße Socken und dunkelbraune Schnürschuhe, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Obwohl er sich in seinem Kellerapartment verbarrikadierte, um uns möglichst selten über den Weg zu laufen, wussten wir genau, wann er zu Hause war, weil dann Lucy, sein durchgeknallter Bordercollie, spurlos verschwand. Wir wussten sogar, wann er sich auf dem Heimweg befand, weil Lucy stets wie von Sinnen bellte, bevor er zwanzig Minuten später mit seinem gelben Taxi in die Einfahrt bog.
Trotz allem entpuppte sich das Leben in Yakovs Haus als recht angenehm – bis auf die Nächte, in denen er mit befreundeten Taxifahrern, die wir immer nur hörten, aber niemals zu sehen bekamen, seine legendären Poker-Runden abhielt. Mit jeder Stunde wurden die Stimmen mit den ausgeprägten osteuropäischen Akzenten lauter, während immer dickere Rauchschwaden zu uns heraufzogen und die Luft verpesteten. Jane war stets die Erste, deren Geduldsfaden riss. Sie wollte, das war einfach ihre Art, alles Übel schon im Keim ersticken. Mit ihren knapp eins sechzig war Jane zwar nicht besonders groß, dafür hatte sie aber vor nichts und niemandem Angst, am allerwenigsten vor Yakov. Wenn der Lärm überhandnahm, sprang sie aus dem Bett, riss die Hintertür auf und pfefferte ein wütendes »Yakov! Hört sofort mit der Qualmerei auf! Und haltet gefälligst die Klappe da unten!« in die nächtliche Dunkelheit. Dann stapfte sie in ihren Birkenstock-Latschen und ihrem langen weißen
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