»Wir haben soeben unsere Reiseflughöhe vergessen«
Frottee-Bademantel lautstark schimpfend durchs Haus, um ihm zu zeigen, dass sie es ernst meinte. Yakov reagierte auf keine ihrer allwöchentlichen Tiraden. Zwar wurde es ein paar Minuten lang etwas leiser, aber dann stieg der Geräuschpegel unweigerlich wieder an, bis Jane ihre Runner’s-World -Ausgabe beiseitewarf, ihre winzigen Füße in die Schlappen rammte und »Was hat der Typ für ein Problem? Es ist ein Uhr früh!« zeterte, während sie durchs Wohnzimmer trampelte, wo wir anderen vor dem Fernseher saßen, wenn wir nicht gerade einen Frühflug hatten und bereits in den Betten lagen.
Jane ließ uns alle gern wissen, uns und Yakov, dass unser Benehmen zu wünschen übrigließ. Regeln waren nun einmal dazu da, befolgt zu werden.
»Deine Bazillen machen mir ja nichts aus«, sagte sie eines Tages, als sie, frisch von der Arbeit und noch in Uniform, mit einer Flasche Toilettenreiniger in der Hand vor mir stand. »Aber die von denen schon!« Sie hob vielsagend den Blick gen Zimmerdecke. Offenbar war eine unserer Hausgenossinnen aus – wohlgemerkt – unserer , nicht ihrer Toilette gekommen und hatte erklärt, sie habe sich die ganze Nacht über wie verrückt gekratzt. Flöhe, vermutete ich. »Jetzt kannst du sie wieder benutzen«, erklärte Jane.
Für Flugbegleiter, die tagtäglich über Stunden mit fremden Menschen in engen, geschlossenen Räumen ohne Frischluftzufuhr eingesperrt sein müssen, sind Keime und Krankheitserreger ein steter Quell der Sorge. Aus diesem Grund sind so viele von uns regelrecht süchtig nach antibakteriellem Reinigungsgel. Vermutlich sichert allein unser Berufsstand den Herstellern von Desinfektionslotionen das Überleben.
Janes Hygienebedürfnis war auch der Grund, weshalb wir nicht in unseren Arbeitsschuhen die Wohnung betreten durften – sie hatte das Haus zur kontaminationsfreien Zone erklärt. In Hotelzimmern trug Jane ausnahmslos Flip-Flops und legte einen Waschlappen neben das Waschbecken, um ihre Toilettenartikel vor Keimen zu schützen. Die Duschhaube diente als Schutzüberzug für die Fernbedienung. Tagesdecken landeten sofort auf dem Fußboden; schließlich weiß jedes Kind, dass sie nur sehr selten, wenn überhaupt, gereinigt werden. Hotelbadewannen wurden grundsätzlich mit ein paar Spritzern Flüssigreiniger und einem Schwamm geputzt, den sie in einem Seitenfach ihrer Reisetasche bei sich trug (und regelmäßig austauschte). Da viele Flugbegleiterinnen Gerüchten zufolge ihre Seidenstrümpfe bevorzugt in Kaffeebechern auswaschen und ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie ein Zimmermädchen mit ein und demselben Putzlappen zuerst den Toilettensitz und dann den Rand eines Glases abwischte, werden Kaffeebecher und Gläser vor Benutzung mindestens zehn Minuten in kochend heißem Wasser sterilisiert.
Jane hatte zwar eine Piepsstimme, aber glasklare und unerschütterliche Prinzipien. Noch lange bevor die Bewegung populär wurde, war sie auf dem Öko-Trip. Sie trennte gelesene Zeitungen und leere Getränkedosen auch dann, wenn wir einen Flughafen anflogen, auf dem der Müll nicht getrennt wurde – das war 1995 noch fast überall der Fall. Und zehn Jahre später sah das leider auch nicht besser aus. Die Umweltorganisation NRDC veröffentlichte 2006 eine Studie, aus der hervorging, dass aus all den Aludosen, die US -amerikanische Fluggesellschaften jährlich verbrauchen, achtundfünfzig Boeing 747 gebaut werden könnten. Sie produzieren außerdem neuntausend Tonnen Plastikmüll und entsorgen so viele Zeitschriften und Zeitungen, dass sie auf einem Football-Feld einen rund achtzig Meter hohen Stapel ergeben würden. Bis heute werden an vielen Flughäfen, vor allem an den kleineren, die Bordabfälle nicht recycelt, obwohl die meisten Terminals inzwischen längst mit verschiedenen Mülleimern ausgestattet sind. Viele Flugbegleiterinnen trennen zwar an Bord Zeitungen und Dosen, aber meist geschieht das auf rein freiwilliger Basis und in der Hoffnung, dass der Müll am Ende entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch recycelt wird. Jane war eine von ihnen. Manchmal schaffte der Abfall sogar den Weg bis zu uns nach Hause, wo sie ihn fachgerecht entsorgen konnte. Dabei schleppte sie keineswegs Ungewöhnliches an, sondern ganz normale Dinge wie eine leere Plastikflasche oder einen ausgewaschenen Starbucks-Becher, die ihr im Verlauf eines dreitägigen Trips in die Hände gefallen waren. Jane kämpfte so vehement für den Umweltschutz, dass eine unserer Mitbewohnerinnen zu dem Schluss kam,
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