Wir hatten mal ein Kind
Hof.
Gäntschow, bat Wendland, tun Sie einmal in Ihrem Leben einem andern Menschen etwas zuliebe. Können Sie nicht verstehen, daß Christiane der Gedanke unerträglich wäre, Sie durch mich von Ihrem Hof vertrieben zu wissen.
Das verstehe ich schon, sagte Gäntschow. Aber ich verstehe auch, daß zuliebe von Liebe kommt.
Eine kurze Stille entstand. Dann sagte Wendland: Ich wollte, es wäre so, wie Sie denken, Gäntschow.
Gäntschow trat hinter dem Koffer hervor, sein Gesicht zuckte. Er faßte den andern bei den Schultern und schüttelte ihn.
Aber wenn es so ist, wenn mich Christiane noch liebt, warum, warum das alles?
Wendland sah ihn an. In seine Augen kam etwas wie Staunen. Er sagte langsam: Weil sie Angst vor Ihnen hat, Gäntschow. Weil sie namenlose, zitternde, feige Angst vor Ihnen hat. Kann man denn ein Leben mit einem Menschen zusammenleben, vor dem man sich ängstigt?
Er sah ihn an, er murmelte: Auch ich habe Angst vor Ihnen. Jeder Mensch hat vor Ihnen Angst. Man weiß nie, was Sie in der nächsten Sekunde tun werden.
Gäntschow stand wieder hinter seinem Koffer. Er legte etwas darin zurecht.
Ich dachte es mir, sagte er, ich wußte es schon, als Sie hereinkamen, Wendland, daß Sie mich schlagen würden. Sie haben wacker zugeschlagen.
|607| Er hatte einen Rasierspiegel in der Hand, er betrachtete aufmerksam sein fahles Gesicht mit den übergroßen Augen darin.
Grüßen Sie Christiane, Herr Wendland, ich bleibe auf dem Hof. Sozusagen ihr zuliebe.
Wendland stand noch einen Augenblick zögernd. Aber der andere war hinter dem Kofferdeckel verschwunden. Hinabgetaucht in die Ordnung oder Unordnung seiner Dinge.
Wendland ging langsam aus dem dunkel werdenden Zimmer. – Und wir gehen mit ihm. Wir lassen Johannes Gäntschow allein, ihn, der das Leben seiner Ahnen noch einmal erlebt hat. Noch einmal hat ihn der Fidder Herr auf den Stein gelegt als Opfer. Noch einmal hat er zu spät entdeckt, daß er lieben konnte, und muß sich nun in den eigenen Fesseln von den Ratten der Gewissensbisse auffressen lassen. Noch einmal ist er ins Leben gefahren auf der Suche nach der Silberkuh. Aber statt ihrer hat er eine Frau gefunden, und die Frau ist ihm gestorben. Und auch in seiner Kiste ist nichts anderes gewesen als in der Kiste seines Großvaters Düllmann: wertlose Unordnung und ein Kinderkleidchen, unbenutzt.
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Informationen zum Buch
Seit Generationen wissen die Leute auf der Insel Rügen, daß mit den Gäntschows nicht gut Kirschen essen ist. Johannes, der letzte Sproß dieser Ahnenreihe eigenwilliger Kauze, macht keine Ausnahme. Aber er will anders leben als seine Vorfahren: selbständig und frei. Nur Christiane, die große Liebe seit seiner Kindheit, nimmt es mit ihm auf. Zu spät erkennt Gäntschow, was er mit ihr verliert.
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Informationen zum Autor
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893 Greifswald bis 1947 Berlin), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit »Der junge Goedeschal«. Der vielfach übersetzte Roman »Kleiner Mann – was nun?« (1932) machte Fallada weltberühmt.
Wichtigste Werke: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938), »Geschichten aus der Murkelei« (1938), »Jeder stirbt für sich allein« (1947).
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