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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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schön, und doch gestorben, rief die Oberin klagend.
    Ja, man versteht es nicht, sagte die Hebammenschwester.
    Die Ärztin trat ein. So, jetzt weiß sie es, sagte sie müde. Sie ist ruhig. Aber gehen Sie, bitte, noch eine halbe Stunde zu ihr hinüber, Frau Oberin. Gäntschow machte eine Bewegung.
    Nein, Sie jetzt nicht, Herr Gäntschow. Kommen Sie, bitte, noch mit mir mit.
    Die große, weißhaarige Frau saß erschöpft in einem Sessel des Oberinnenzimmers. Ein verschlafenes Mädchen brachte ihr Kaffee. Frau Wendland, sagte die Ärztin langsam, wünscht die Todesursache des Kindes zu wissen. Dazu ist eine Sektion notwendig. Würden Sie Einwendungen erheben?
    Er dachte nach. Er sah das ernste, hoheitsvolle Gesicht vor sich. Er sah das blanke, schneidende Messer. Aber dann verging das wieder und er sagte: Nein, wenn Frau Wendland es wünscht … Es ist ein verständlicher Wunsch, sagte die Ärztin. Auch ich teile ihn. Es war eine ganz normale Geburt, vielleicht eine Kleinigkeit zu rasch, aber ganz normal, und das kleine Ding ist ein Prachtmädchen. Sie will Klarheit haben, und Klarheit ist immer gut. Die Ärztin schwieg wieder. Aber sie war noch nicht fertig. Ein Gefühl nahen Unheils befiel Gäntschow.
    Herr Wendland, sagte die Ärztin rasch, ist vor dem Gesetz der Vater des Kindes. Seine Erlaubnis zur Sektion ist notwendig. |602| Frau Wendland hat mich gebeten, nach Fiddichow zu telegrafieren, damit Herr Wendland sofort kommt.
    Die Ärztin trank. Es war ganz still im Raum.
    Ja, ja, sagte Gäntschow gedankenlos. Er stand auf und sah sich in dem Zimmer um, als suchte er etwas.
    Noch eins, Herr Gäntschow, sagte die Ärztin hastig, ja, Sie wollen nach Haus. Ich bin auch müde. Aber es ist Vorschrift, daß wir noch zwei Stunden nach der Geburt bei der Wöchnerin bleiben. Ich würde Sie sonst in meinem Auto mitnehmen. – Frau Wendland ist sehr schwach, und sie wird morgen eine aufregende Zusammenkunft mit Herrn Wendland haben. Es ist darum besser, Sie kommen morgen noch nicht.
    Ja, ja, sagte Gäntschow gedankenlos.
    Ich gebe Ihnen sofort Nachricht, sobald es geht. Sie bleiben doch in Ihrer Pension?
    Ja, sagte er. Er sah die Ärztin an und sagte: Gute Nacht, Frau Doktor. Ich müßte Ihnen ja wohl eigentlich danken, aber …
    Er bewegte hilflos die Achseln und ging gegen die Tür. Plötzlich drehte er sich um und ging lebhaft auf die Ärztin zu: Frau Doktor, sagte er fieberhaft. Warum ist das Kind gestorben?
    Sie sagte müde: Um das zu erfahren, wird es seziert.
    Nein, nein, sagte er ungeduldig. Nicht woran! Das ist gleichgültig.
Warum
ist es gestorben?
    Ja, Herr Gäntschow, sagte die Ärztin langsam, ich soll Ihnen also sagen, ob ein Gott im Himmel lebt, und ob er allgütig ist, und warum er die Welt geschaffen hat und uns arme Menschen … Ja, mein lieber Herr Gäntschow, ich bin nur eine alte Frau, und Ihre Kleine dahinten weiß jetzt wahrscheinlich schon mehr als Sie und ich.
    Johannes Gäntschow ging wortlos aus dem Zimmer.
    Erst am dritten Tage danach wurde er von der Ärztin angerufen. Er hatte diese Tage in seinem öden Pensionszimmer verbracht, ohne eine andere Beschäftigung als seine Grübeleien. |603| Er war aufgestanden und hatte sich hingesetzt. Er hatte gegessen und geraucht. Er hatte endlose Märsche Zimmer auf und ab gemacht, mit dem Ohr ewig nach dem Apparat hin: nichts.
    Unbestreitbar blieb, was er auch denken mochte, die eine Tatsache, daß Herr Wendland mit ihr gesprochen hatte, und daß sie ihn noch immer warten ließ.
    Nun aber sollte er zur Ärztin kommen. Nicht in die Klinik, sondern in die Wohnung. Wieder brachte ihn der höfliche Fahrstuhlführer hinauf, wieder ging er in das helle Zimmer mit den schönen Bildern, den vertrauenerweckenden Bücherrücken.
    Dann ging die Tür auf, und die Ärztin trat ein. Sie hatte ihre frischen Farben wieder, die mutigen starken Augen, die vom Alter unberührte Gestalt.
    Der Sektionsbericht ist da, sagte sie. Es ist alles genauestens untersucht. Nichts von Krankheit. Ihr kleines Mädchen hätte froh und gesund leben können – es war ein Unglücksfall.
    Sie berichtete, zeichnete. Wie ich Ihnen schon sagte, die Geburt ging zu rasch. Der kleine, weiche Schädel, der sich sonst langsam anpaßt, ist mit zu großer Schnelligkeit in die engen Geburtswege gepreßt worden. Er wurde zusammengedrückt. Eine Blutung in das Gehirn trat ein – daran ist sie gestorben.
    Kommt das häufig vor? fragte Gäntschow.
    Selten. Äußerst selten. Ein Unglücksfall. Wie wenn jemandem

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