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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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kann man in ihr einnehmen , behaupten?
    In der Welt – … aber nicht von der Welt. Das ist die Stellung der Jünger. Ein Ziel , keine Zustandsbeschreibung. Man darf es nie aus dem Blick verlieren. Es erfordert ständiges Bemühen. Die Müdigkeit überwunden zu haben , ist ein kleiner Sieg über das träge Herz , das schwache Fleisch. Heute morgen hat der Wille ausgereicht , dem Schlaf eine halbe Stunde abzutrotzen , sich von Tentakeln aus den unteren Nachtschichten zu lösen , wo Fremdartiges haust , durchscheinende Wärmetiere , deren Feueratem die Grenzen des Körpers aufweicht.
    Der Leib ist das Gefängnis der Seele. Welche Schritte führen hinaus?
    Bilder von Verschmelzung , Aufgehen in jemand anderem , in allem. Vorspiegelungen des bösen Feindes. Wenn die Müdigkeit übermächtig ist , reicht ein Wischer über den Beistelltisch , und der Wecker schweigt. Es bleiben weitere fünfundvierzig Minuten zwischen Kissen und Wachtraum, bis der Schleimbeutel Eging die Tür aufreißt , »Morgen! Aufstehen!« brüllt. Die Glieder schwer , Zähigkeit in den Muskeln. Bilder , die nie Wirklichkeit werden und doch nicht verlöschen. Das Aufstehen ist kein bißchen leichter als es eine dreiviertel Stunde früher gewesen wäre.
    »Man muß Geduld mit sich haben.«
    »Man darf nicht nachlässig mit sich sein.«
    »Ausreichend Schlaf ist das A und O.«
    »Manche verschlafen sogar ihren Tod.«
    Präses Dr. Roghmann sagt: »Das Leben ist ein Wettkampf , ein Wettkampf mit dem Teufel. Wer gewinnt , bleibt offen bis zum letzten Atemzug , aber wenn der Mensch nicht sein gesamtes Vermögen in die Waagschale wirft , hat er schon verloren.«
    Wegschnecken , knirschender Kies , Amselgesang. Es wird Frühling. Im Osten bläht sich die Sonnenscheibe auf wie ein verlöschender Stern. Von weither Ahnungen , wie es gewesen ist am Beginn der Schöpfung , als das Wort , das bei Gott , das Wort , das Gott war , Land und Wasser schied , es im Wasser von lebendigen Wesen wimmeln ließ , alle Arten Tiere an Land hervorbrachte. Sie hausten in Frieden. Ein Tag noch bis zur Schöpfung des Menschen. Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre , und tausend Jahre sind wie ein Tag. Tausend Jahre aus dreihundertfünfundsechzig Tagen , von denen wiederum jeder tausend Jahre mißt. Dann steht er da , der Mensch , geformt aus Ackerboden , Dreck , räkelt sich , reibt sich die Augen. Gibt allem , was er sieht , seine Namen und findet doch niemanden , mit dem er vertraulichen Umgang haben könnte. Gott schaut zu. Es gefällt Ihm nicht , daß der Mensch allein ist. Anders als alles , was Er vorher ins Dasein gerufen hat , ist der Mensch so allein nicht sehr gut. Gott läßt ihn in die Bewußtlosigkeit zurückfallen. Entnimmt eine Rippe für die Frau , die ihm Gefährtin sein soll am Tag und in der Nacht. Bein von meinem Bein , Fleisch von meinem Fleisch. Nackt , ohne Scham. Ganz gleich , was danach passiert , die Schlange , der Apfel: Für kurze Zeit wird der Garten Eden das Paradies. –
    Links fällt der Graben ab , der das ehemalige Kloster , Collegium Gregorianum Kahlenbeck , über Jahrhunderte geschützt hat vor den Übergriffen marodierender Söldner , vor protestantischen Bilderstürmern , die von Westen her kamen , um alles , was heilig ist , kurz und klein zu hauen. Jetzt markiert der Graben Abschnitte der Grenze , die von Schülern ohne Ausgang nicht überschritten werden darf , zusätzlich gesichert mit elektrischen Zäunen , Stacheldraht.
    Unten , zu seinen Füßen , die Spiegelung des Gesichts: eine Fratze , Grinsen , dann Ernst. Spuren von Verzweiflung. Sie droht sich einzunisten. Auge in Auge mit sich. Was ist darin zu erkennen? Selbstsucht , Eitelkeit: › Nimm einen Stein , wirf ihn ins faulige Wasser , schau , wie er hinabsinkt zum Grund , auf dem verrotteten Laub des Vorjahres Ruhe findet. ‹ Wieder konzentrische Kreise , flüchtende Fische. Silberblitze. Sedimentwölkchen. Bohrt man mit einem Ast , steigen Gasblasen auf , Schwefelwasserstoff , Methan. Es stinkt wie von den Stinkbomben , die manchmal einer in den Fluren des Schulgebäudes zur Explosion bringt. Der Graben ist hypertroph , wird umkippen , bald schon , dann ist kein höher entwickeltes Leben mehr möglich. Weiter hinten laufen milchige Abwässer aus einem Rohr unterhalb der Wasseroberfläche ein , es riecht nach Waschküche. Im Sommer verbringen Sekundaner und Primaner als Strafe für nächtliche Unruhe , Schwänzen des Gottesdienstes , für unerlaubtes Verlassen des Geländes

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