Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
der Himmlischen Heerscharen regnen herab , zerschneiden Gesichter und Hände.
»Wir glauben an den einen Gott , den Vater , den Allmächtigen.«
Niemand um ihn herum spricht das Glaubensbekenntnis mit.
Carl denkt , daß er sie ermahnen , daß er sie warnen , ihnen in Liebe erläutern muß , was der Herr getan hat , damit sie sich besinnen. Seine Rede wäre sacht und stark zugleich: › Schaut , was Er auf sich genommen hat , die größte Schmach und Schande. ‹
Sie würden ihn anglotzen , trüb und unverständig wie das Vieh in den Ställen , ihn für verrückt halten. Lachen – Rogge als erster , und alle würden einfallen. Montag bekäme er Prügel. Leinberger würde ihn auf den Asphalt werfen , bespucken , zum Gespött der Schule machen. Davon würde sein Ruf sich nie wieder erholen.
Arndts verteilt jetzt Kaugummis. Gleich wird er Carl einen Streifen anbieten. › Begreift ihr denn nicht , was die Liebe Jesu bedeutet für jeden von euch , von uns , ohne diese Liebe können wir nicht einen Atemzug tun. ‹
»Nimmst du?«
Carl will sagen: › Schäm dich , das Haus Gottes zu einer Räuberhöhle zu machen , wo man schmatzt und furzt und pöbelt. Kehre um , wenn dir dein ewiges Leben lieb ist. ‹
Er hört den Hall seiner Stimme in dem hohen Raum , streng und erhaben steht sie da. Es ist ganz still geworden. Dann das immer gewaltiger anschwellende Gelächter. Bis in die letzte Reihe schwappt es , wo die Bauern und Schlosser , die Melker , Bäcker und der Amtmann Sölling einstimmen. Sie halten ihn für einen Spinner , für ein überkandideltes Söhnchen.
Carl senkt demonstrativ den Kopf , sieht Arndts aufforderndes Grinsen am oberen Rand seines Blickfelds. Kein Augenkontakt. Augenkontakt wäre Zustimmung. Es darf keine Verständigung mit den Gotteslästerern geben , nicht ein einziges Wort. Schon › Nein ‹ wäre zu viel. Er bemüht sich , sein Gesicht , seine Körperhaltung ganz von Versenkung , Andacht , Gebet durchdringen zu lassen. Alles an ihm muß furchtbare Kraft und beschämende Demut ausstrahlen. Dann wird Arndts sich stumm und erschrocken abwenden und sein Benehmen ändern.
»Nimm , ist Wrigley’s.«
Pfefferminzgeruch. Carls Wangenmuskeln verkrampfen sich. Er sagt nichts , beißt die Zähne zusammen , preßt die Lippen aufeinander , bis sie kurz vor dem Platzen sind. Schüttelt den Kopf. Es ist eher ein Zucken , abrupt wie eine Nervenstörung. Arndts antwortet mit einer Grimasse , dreht sich nach vorn , flüstert Maaß etwas zu. Maaß wirft einen verächtlichen Blick zurück , zuckt mit den Achseln.
»Barmherziger Gott , wir bekennen , daß wir immer wieder versagen und uns nicht auf unsere Verdienste berufen können. Komm uns zu Hilfe und ersetze , was uns fehlt.«
Carl atmet schwer , hebt den Blick zum Himmel , der ein gemauertes Gewölbe ist. Seit Jahrhunderten steigen die Gebete dorthin auf. Die Steine haben sich vollgesogen mit Glaube , Hoffnung , Liebe. Er wendet sich dem Gekreuzigten zu , der in Gehorsam und Geduld alles ertragen hat , Spott und Geißel und Dornenkrone. › Weise Du sie zurecht , o Herr. Laß sie zittern vor Furcht. ‹
Ein Senfkorn – nur so groß wie ein Senfkorn muß er sein , der Glaube , dann kann er Berge versetzen.
Carl wird rot , spürt Hitze in den Wangen: Sein Glaube ist kleiner. Er reicht nicht einmal für den Mut , seine Klassenkameraden zurechtzuweisen. Schon bei der Vorstellung , »Laßt doch den Blödsinn« zu sagen , überwältigen ihn Verzagtheit und Angst.
» Heilig , heilig , heilig , Gott , Herr aller Mächte und Gewalten.«
»Peinlich , peinlich , peinlich , all die Pfaffen in Irrenanstalten« , kommt das Echo aus der Reihe vor ihm.
»Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit.«
Carl horcht in sich hinein , ob nicht irgendwo in seinem Innern etwas zu hören ist , das leise Säuseln , das ihn beim Namen nennt , kaum vernehmlich in all dem Geläute , dem Stimmengewirr. Er atmet flach , damit es nicht übertönt wird von der Luft , die seine Nasenwände entlangstreicht. Er hört nichts. Die gegeneinanderreibenden Stoffe , Parka , Pullover , Cordhose sind beim Hinknien so laut , daß nichts mehr zu verstehen wäre von dem , was der Stille am Grund seiner Seele entsteigen könnte. Sosehr er sich auch anstrengt , in ihre hintersten Winkel zu horchen , da wispern nur die erbärmlichen Einflüsterungen , die aus ihm selber stammen: › Kleingläubiger! ‹ – › Steh auf , wenn du Gott wahrhaftig liebst! ‹ – › So ein Unsinn!
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