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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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ihre Samstagnachmittage damit , schwarzen Morast aus dem Graben zu schaufeln , bis zu den Knien eingesunken in einem halben Meter vermodernder Pflanzen , dem Faulschlamm von Generationen. Es ist der schlimmste Strafdienst , der zur Zeit verhängt wird , für Wiederholungstäter und für die , die von den Erziehern gehaßt werden. Ganske mußte kotzen dabei. Siewert hat Bruder Walter anschließend verflucht. Nicht einfach beschimpft , tatsächlich verflucht , was gefährlich ist , weil ein zu Unrecht ausgesprochener Fluch sich gegen den Fluchenden selbst kehrt. Siewert hat eine Kerze angezündet , das Kreuzzeichen geschlagen und sehr feierlich die Worte gesprochen: »Der Bruder Walter Bastenkock soll verflucht sein in dieser und jeder anderen Welt wegen der menschenverachtenden Qualen und Erniedrigungen , die er den ihm anvertrauten Schülern auferlegt hat aus niederen Beweggründen. Amen.«
    Es gibt viel zu bedenken. Für und wider , richtig und falsch , gut und böse. Böse Gedanken sind die größte Gefahr. Böse und schmutzige. Für die Seele wie für den Geist. Bei weitem gefährlicher als zu viel oder zu wenig Schlaf. Allerdings ist die Müdigkeit eine tückische Falle. Stürzt man hinein , lauern am Grund Selbstsucht und Wollust. Darin stimmen Präses Dr. Roghmann und Spiritual Krohkes überein. Wenn die Verderbnis erst Einzug gehalten hat , folgt unaufhaltsam der Abstieg. Als Einfallstore dienen die weit geöffneten , der Kontrolle des Verstandes entzogenen Schleusen der Nacht. Deshalb ist es gut , den Schlaf früh abzubrechen , Beherrschung zu üben. Fleisch und Trieb müssen geschwächt werden , damit Geist und Wille erstarken.
    »Der faulige Grund des Grabens kann euch als Realsymbol für den Zustand eurer Seelen gelten« , hat Spiritual Krohkes gesagt. Er nimmt ausdrücklich niemanden davon aus. »Verrohung« und »abscheulich« lauten die Worte , die er im Zusammenhang mit der moralischen Verfassung der Schülerschaft am häufigsten gebraucht.
    Die Farben im Wasser: Schwarz , Schwarzbraun , Beigebraun , roter Ocker , Goldocker , Umbra. Altlaubschattierungen , so weit entfernt vom Licht , wie Farben nur sein können. Dazwischen manchmal das Weiß toter Fische , die bauchoben treiben.
    Aber jetzt knospen die Bäume. Das muß selbst Spiritual Krohkes zugeben. Unübersehbar haben sie das Knospen begonnen – am See , in den Gärten , bei der Hütte am Reitplatz , der Hütte am Schwimmbad. Die Weiden sind voller Kätzchen. Noch eine Woche Wärme , dann stehen die ersten Bäume grün da. Grün wie in der Erinnerung. Oder noch grüner. Linden , Eichen , Buchen treiben aus. Die Stare sind zurück , die Schwalben. Schwester Irmela behauptet , sie hätte schon den Pirol gehört , den noch nie einer hier gesehen hat , obwohl er das gelbste Gelb der Vogelwelt trägt. In der Höhe hämmert ein Specht. Er hält sich den Augen verborgen. Mit dem Specht ist der Frühling ganz sicher da , und mit dem Frühling die Hoffnung. Hoffnung auf ein neues Leben nach dem Dunkel , nach der Abschottung des Winters , in der kein Gotteswort Trost war. Es sollte auch nicht Trost sein: Es gibt Zeiten , in denen das Wort des Trostes zum Richterspruch wird. Bevor sich das Urteil wiederum in Barmherzigkeit wandelt , muß sehr viel Veränderung stattfinden in den Herzen. Davon ist weit und breit nichts zu sehen. Kaum einer macht Anstalten umzukehren , den alten Menschen abzustreifen , neu zu beginnen.
    »Und jedesmal , wenn einer von euch seinen Kameraden › du Dummkopf ‹ nennt , saust der Hammer in der Hand des Folterknechts auf den Nagel , der Jesus ans Kreuz heftet!« hat Spiritual Krohkes in seiner Fastenpredigt von der Kanzel geschrien. Sein Sabber spritzte über die Köpfe hinweg. »Das war nicht vor 2000 Jahren , das ist jetzt , heute! Und wir sind es , die den eingeborenen Sohn töten , jeder von uns , mit seiner Boshaftigkeit , seiner Hartherzigkeit: Nicht wegen der Juden von damals , wegen unserer Sünden stirbt er.«
    Vielleicht zeigt das Beispiel der Natur , wie die Erneuerung des inneren Menschen vonstatten gehen muß. Es kann jedoch auch mißverstanden werden im Sinne der Feier des Überquellenden , eines regelrechten Kults um die Fruchtbarkeit , wie er bei Griechen , Römern und Heiden gepflegt wurde. Doch der Frühling wird jetzt von Tag zu Tag größer. Wenn die Sonne durchbricht , kann man zusehen , wie er wächst , sich ausdehnt , ganz überhandnimmt , wohin man auch schaut. Dann ist er plötzlich so groß , daß es

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