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Wir Kinder der Kriegskinder

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Titel: Wir Kinder der Kriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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werden. Es kann auch geschehen, dass sie noch nach ihrem 16. Lebensjahr alleine abgeschoben werden, manchmal in Länder, die sie nie kennengelernt haben oder deren Sprache sie nicht beherrschen.
    Für Amir ist das alles ein Schock: Wieder wird ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, wieder ist er allein. In der Erwachsenenunterkunft wohnen hauptsächlich russische Männer, die bis spät in die Nacht gemeinsam trinken. Amir bekommt 183 Euro im Monat, isst jeden Tag Reis mit Eiern – aus Angst, am Ende des Monats kein Geld mehr zu haben. Sein Asylantrag wird abgelehnt. Amir wird schwer depressiv und geht nicht mehr zur Schule.Schließlich greift Lifeline e. V. aus Kiel ein, ein ehrenamtlicher Vormundschaftsverein, der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein unterstützt und das leistet, was die Behörden nicht leisten können oder wollen: Hilfe bei Amtsangelegenheiten, Unterstützung bei der Beantragung von Deutschkursen, manchmal auch Seelsorge. Lifeline e.V. besucht Amir und besorgt ihm eine Vormündin, Christiane Boysen. Sie geht mit Amir zum Amt und meldet ihn an einer neuen Schule an – mit dem Ziel, den Hauptschulabschluss zu schaffen. Auch eine Hausaufgabenhilfe, Frau Martini, besorgt sie für ihn. Es geht wieder aufwärts, Amir arbeitet hart, um in der Schule den Anschluss zu finden. Nach der Schule besucht er den Mittagstisch des Flensburger Kinderschutzbundes und lernt anschließend mit Frau Martini. Doch nach nur ein paar Monaten muss Frau Martini aus Flensburg wegziehen, wieder eine Trennung, wieder ein Schock für Amir. Wenig später erhält er einen Brief von der Stadt Flensburg: „Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass Sie mit Vollendung Ihres 18. Lebensjahres zu dem vorrangig zurückzuführenden Personenkreis gehören und weisen Sie daher darauf hin, dass die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach Ablauf nicht verlängert wird.“
    Amir verfällt erneut in eine Depression: Er kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr sprechen und nicht mehr hören. Frau Boysen geht mit ihm zur Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Flensburg. „Diagnostisch handelt es sich um somatisierte Ängste und Depressionen mit latenter Suizidalität im Sinne einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung“, schreibt der behandelnde Psychiater. „Herr Gafuri bedarf daher aus ärztlicher Sicht dringend der Fortführung einer qualifizierten psychotherapeutischen Hilfe. Soweit mir bekannt, scheint es unmöglich, dass er diese Hilfe in Afghanistan erhalten kann. Ohne eine solche Hilfestellung ist von einer weiteren massiven Eskalation und Gefährdung von ihm mit aller Wahrscheinlichkeit auszugehen.“Beim Amt stößt das Gutachten des Psychiaters auf taube Ohren. Amir soll abgeschoben werden, ob freiwillig oder nicht.

    Amirs Geschichte ist bei weitem kein Einzelfall. Flüchtlingskindern in Deutschland geht es schlecht. Schuld daran sind auch die unsicheren Lebensumstände im Exilland. In einer Studie der Flüchtlingsambulanz des Universitätsklinikums Eppendorf und der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt in Hamburg über den psychischen Zustand von Flüchtlingskindern konnte die Diplompsychologin Claudia Oelrich nachweisen, dass fast 63 Prozent der 51 von ihr befragten Kinder und Jugendlichen die wissenschaftlichen Diagnosekriterien für mindestens eine behandlungsbedürftige psychische Störung erfüllten. Über 43 Prozent der Kinder litten sogar an mehreren psychiatrischen Auffälligkeiten: Phobien, posttraumatische Belastungsstörungen, depressive Episoden und Trennungsangst rangieren dabei ganz oben auf der Skala der Diagnosen. Bei weiteren 21 Prozent der Kinder stellte die Psychologin Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme fest, fast 16 Prozent berichteten von psychosomatischen Beschwerden. Am schockierendsten aber ist wohl die Tatsache, dass Oelrich bei 19,6 Prozent der Kinder die Kriterien für ein gegenwärtiges Suizidrisiko gegeben sah – und bei 7,8 Prozent der Kinder sogar eine gegenwärtige hohe Suizidgefährdung beobachtete. Die Befragten waren zwischen neun und 19 Jahre alt, über die Hälfte von ihnen stammte aus Afghanistan. Fast alle Kinder verfügten zum Zeitpunkt der Befragung lediglich über eine Duldung, oft bereits seit vielen Jahren. Doch mit nur einer Duldung haben Flüchtlingsfamilien in Deutschland keine Zukunft: Die Eltern dürfen nicht arbeiten, ganz egal, wie lange sie schon hier sind. Die Kinder

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