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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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kleckerweise. Ich hatte ständig diese Angst in mir: Gebe ich ihr 20 Mark, dann kauft sie sich einen Schuss, und der kann zu viel sein. Dass sie süchtig war – damit konnte ich halbwegs leben. Es war die Angst, dass der nächste Schuss der letzte sein könnte, die mich fertigmachte. Ich war zufrieden, dass sie überhaupt noch nach Hause kam. Im Gegenteil zu Babsi, deren Mutter mich oft unter Tränen anrief und wissen wollte, wo Babsi ist.
    Ich lebte in ständiger Aufreibung. Wenn das Telefon klingelte, fürchtete ich, das ist die Polizei oder das Leichenschauhaus oder sonst was Schlimmes. Ich schieße noch heute aus dem Bett hoch, wenn es klingelt.
    Mit Christiane war überhaupt nicht mehr zu reden. Wenn ich sie auf ihre Sucht ansprach, hieß es nur: »Lass mich in Ruhe!« Ich hatte den Eindruck, dass Christiane dabei war, sich aufzugeben.
    Sie blieb zwar dabei, dass sie nicht mehr Heroin spritzen würde und nur Haschisch nähme, doch im gleichen Maße, wie ich mir nichts mehr vormachte, ließ ich mir auch von ihr nichts mehr vormachen. Ich stellte regelmäßig ihr Zimmer auf den Kopf und da fand ich dann auch irgendwelche Utensilien. Zwei-oder dreimal sogar ein Spritzbesteck. Die schmiss ich ihr vor die Füße, worauf sie mich nur beleidigt anschrie. Die gehörten Detlef. Sie habe ihm die Spritzen weggenommen.
    Als ich eines Tages von der Arbeit kam, saßen beide auf dem Bett im Kinderzimmer und hatten gerade den Löffel heiß gemacht. Ich war völlig perplex über diese Frechheit. Ich konnte nur noch brüllen: »Macht bloß, dass ihr rauskommt«.
    Als sie draußen waren, heulte ich los. Ich bekam auf einmal eine unbändige Wut auf die Polizei und unsere Regierung. Ich kam mir völlig alleingelassen vor. Die BZ schrieb schon wieder über einen Rauschgift-Toten. Es waren schon mehr als dreißig Opfer in diesem Jahr. Und es war erst Mai. Ich konnte das alles nicht fassen. Da sah man im Fernsehen, was für ungeheure Summen der Staat zur Bekämpfung des Terrorismus ausgibt. Und in Berlin liefen die Dealer überall frei herum und verkauften auf offener Straße Heroin wie Eis am Stiel.
    Ich steigerte mich geradezu in diese Gedanken hinein. Plötzlich hörte ich mich laut »Scheißstaat« sagen. Ich weiß nicht, was mir noch alles durch den Kopf ging. Ich saß da im Wohnzimmer und guckte mir die Möbel Stück für Stück an. Ich glaube, am liebsten hätte ich den ganzen Kram kurz und klein geschlagen. Das war es also, wofür ich mich angestrengt hatte. Dann heulte ich wieder.
    An diesem Abend verprügelte ich Christiane ganz fürchterlich. Ich saß aufrecht im Bett und wartete auf sie. In meinem Kopf rumorte es. Es war eine Mischung aus Angst, aus Schuldgefühl und Selbstvorwürfen. Ich fühlte mich als Versager, nicht nur, weil ich mit meiner Heirat und dem vielen Arbeiten so viel falsch gemacht hatte. Auch weil ich lange Zeit zu feige gewesen war, den Tatsachen bei Christiane ins Auge zu sehen.
    An diesem Abend verlor ich meine letzte Illusion.
    Christiane kam erst um halb eins nach Hause. Vom Fenster aus sah ich, wie sie aus einem Mercedes ausstieg. Direkt vor der Haustür. Mein Gott, dachte ich, jetzt ist alles aus. Jetzt hat sie jede Selbstachtung abgelegt. Jetzt ist die Katastrophe da. Ich war am Boden zerstört. Ich packte sie mir und verdrosch sie so fürchterlich, bis mir die Hände wehtaten. Zum Schluss saßen wir beide auf dem Teppich und heulten. Christiane war völlig aufgelöst. Ich sagte ihr auf den Kopf zu, dass sie auf den Strich geht, dass ich’s nun weiß. Sie schüttelte nur den Kopf und schluchzte: »Aber nicht so, wie du denkst, Mutti.«
    Ich wollte es gar nicht genauer wissen. Ich schickte sie in die Badewanne und dann ins Bett. Wie mir zu Mute war, kann sich niemand vorstellen. Dass sie sich an Männer verkauft, das schmiss mich – glaube ich – noch mehr um als ihre Heroinsucht.
    Ich tat die ganze Nacht kein Auge zu. Ich überlegte, was bleibt dir eigentlich noch übrig? Sogar eine Heimeinweisung kam mir nun in meiner Verzweiflung in den Sinn. Aber das hätte alles nur noch verschlimmert. Sie hätten Christiane zunächst im Hauptpflegeheim in der Ollenhauerstraße untergebracht. Und davor hatte mich schon mal eine Lehrerin dringend gewarnt, unter anderem, weil die Mädchen sich dort untereinander zur Prostitution verleiten.
    Ich sah nur noch eine Möglichkeit: Christiane muss sofort aus Berlin raus. Für immer. Ob sie will oder nicht. Raus aus diesem Sumpf, wo sie immer wieder verführt wird.

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