Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
machen soll. »Und was haben Sie ihr gesagt?«, fragte ich.
»Sie soll sich ’nen Strick nehmen«, war seine Antwort. Es gäbe keine Hilfe. Genau so hat er es gesagt.
Als sich Christiane nach einer Woche bei Narkonon zurückmeldete, konnte ich mich nicht mal mehr richtig freuen. Als ob etwas in mir gestorben wäre. Ich war der Meinung, alles nur Menschenmögliche in Gang gebracht zu haben. Doch nichts hatte geholfen. Im Gegenteil.
Der ganze Schlamassel war immer größer geworden. Auch durch Narkonon war an Christiane mehr verdorben als verbessert worden. Sie hatte sich dort abrupt verändert. Sie wirkte ordinär, gar nicht mehr mädchenhaft, eher abstoßend.
Ich war bereits bei meinen ersten Besuchen in der Narkonon-Villa stutzig geworden. Christiane war mir plötzlich fremd. Irgendetwas war kaputt. Bis dahin hatte sie ja trotz allem noch eine innere Bindung zu mir. Die war futsch. Ausgelöscht wie nach einer Gehirnwäsche.
In dieser Situation bat ich meinen geschiedenen Mann, er solle Christiane nach Westdeutschland bringen. Doch er wollte sie lieber zu sich nehmen. Er würde schon mit ihr fertigwerden. Und wenn sie nicht spurt, auch mit ’ner Tracht Prügel.
Ich wehrte mich nicht dagegen. Ich war mit meinem Latein am Ende. Ich hatte schon so viel falsch gemacht, dass ich auf einmal Angst hatte, mit Westdeutschland die Fehlerkette fortzusetzen.
Bevor wir von Narkonon aus nach Hause gingen, schleppte mein Vater mich noch mit in den Schluckspecht, seine Stammkneipe am U-Bahnhof Wutzkyallee. Er wollte mir was Alkoholisches bestellen, aber ich trank nur eine Flasche Apfelsaft. Er sagte, ich müsse jetzt endgültig aufhören mit dem Rauschgift, wenn ich nicht sterben wolle, und ich sagte: »Ja, eben, deshalb wollte ich auch bei Narkonon bleiben.«
Die Musikbox spielte immer wieder »Ein Bett im Kornfeld«. Ein paar Jugendliche standen am Flipper und am Billardtisch. Mein Vater sagte, das seien alles ganz normale Jugendliche. Ich würde hier schnell neue Freunde finden und selber merken, wie dämlich es von mir gewesen sei, Rauschgift zu nehmen.
Ich hörte kaum hin. Ich war unheimlich sauer und kaputt und wollte nur noch allein sein. Ich hasste die ganze Welt und Narkonon war wieder die Tür zum Paradies, die mein Vater mir nun zugeschlagen hatte. Ich nahm Janie mit zu mir ins Bett und sagte: »Janie, kennst du die Menschen?« Ich antwortete für sie: »Kennst du eben nicht.« Janie lief auf jeden Menschen schwanzwedelnd zu. Sie hielt alle Menschen für gut. Ich mochte das nicht an ihr. Ich hätte es besser gefunden, wenn sie jeden Menschen erst mal angeknurrt hätte, weil sie allen misstraute.
Als ich aufwachte, hatte Janie noch nicht ins Zimmer gepinkelt und ich wollte gleich mit ihr runter. Mein Vater war schon weg zur Arbeit. Ich wollte die Haustür aufmachen. Sie war abgeschlossen. Ich riss an der Klinke, ich warf mich gegen die Tür. Die blieb zu. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, nicht total auszurasten. Ich dachte, es könne doch nicht sein, dass mein Vater mich wegsperrte wie ein wildes Tier. Er wusste schließlich, dass auch noch der Hund da war.
Ich raste durch die Wohnung und suchte einen Schlüssel. Ich dachte, irgendwo muss er den Schlüssel hingelegt haben. Es kann schließlich auch brennen. Ich guckte unters Bett, auf die Gardinenbretter, auch noch in den Kühlschrank. Kein Schlüssel. Ich hatte keine Zeit, echt auszurasten, weil ich was mit Janie machen musste, bevor sie den Teppichboden einsaute. Ich brachte sie dann auf den Balkon und sie begriff das auch.
Ich habe mir dann erst mal die Wohnung angesehen, in die ich eingesperrt war. Es hatte sich einiges verändert. Das Schlafzimmer war leer, weil meine Mutter die Betten mitgenommen hatte. Im Wohnzimmer war eine neue Couch, auf der mein Vater jetzt schlief. Ein neuer Farbfernseher war da. Der Gummibaum war weg und auch der Bambusstock in dem Gummibaum-Topf, mit dem mich mein Vater oft vermöbelt hatte. Dafür stand da ein Affenbrotbaum.
Im Kinderzimmer war noch immer der alte Kleiderschrank, bei dem man nur eine Tür aufmachen konnte, weil er sonst zusammengebrochen wäre. Das Bett krachte sowieso bei jeder Bewegung. Ich dachte, da sperrt er dich nun ein und da sollst du also eine normale Jugendliche werden, und der Alte bringt es nicht mal zu einer ordentlichen Wohnungseinrichtung.
Ich stand dann mit Janie wieder auf dem Balkon. Janie stellte die Vorderfüße auf die Brüstung und sah elf Stockwerke runter und auf die öden Hochhäuser
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