Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
wollte zeigen, dass ich es ganz allein schaffte.
Ich fuhr zu Narkonon und die nahmen mich auch wieder auf. Ich machte wie besessen die Therapie mit. Ich tat, was man mir sagte. Ich wurde eine richtige Musterschülerin und durfte wieder an diesen Lügendetektor und der Zeiger schlug nie aus, wenn ich sagte, dass mir eine Session unheimlich viel gebracht habe. Ich dachte, jetzt packst du es. Jetzt gerade. Ich rief meine Mutter nicht an, die meine Sachen abgeholt hatte. Ich lieh mir Zeug. Ich zog Jungsunterhosen an. Aber das machte mir überhaupt nichts aus. Ich wollte meine Mutter nicht bitten, mir meine Sachen zurückzubringen.
Eines Tages rief mein Vater an: »Tag, Christiane. Sag mal, wo bist du denn gelandet? Ich habe das gerade erst zufällig erfahren.«
Ich sagte: »Finde ich ja riesig, dass du dich auch mal um mich kümmerst.«
Er: »Sag mal, willst du denn bei diesem komischen Verein bleiben?«
Ich: »Klar, auf jeden Fall.«
Mein Vater holte erst mal eine ganze Weile Luft, dann fragte er, ob ich nicht mit ihm und einem Freund zum Essen gehen wolle. Ich sagte: »Ja, mach ich.«
Eine halbe Stunde später musste ich runter ins Büro und da war mein lieber Vater, den ich seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Er kam erst mal rauf in das Zimmer, in dem ich mit vier anderen lag. Er sagte: »Wie sieht es denn hier aus?« Er war ja schon immer ein Ordnungsfanatiker. Und es sah wirklich toll aus in unserem Zimmer wie überall im Haus. Mistig und dreckig und überall lagen Klamotten rum.
Wir wollten dann losgehen zum Essen, da sagte einer der Bosse zu meinem Vater: »Sie müssen aber eine Erklärung unterschreiben, dass Sie Christiane zurückbringen.«
Mein Vater rastete aus. Er schrie, dass er der Vater sei und ganz allein bestimmen könne, wo seine Tochter bliebe. Er nähme mich jetzt mit und seine Tochter käme auch nicht wieder zurück.
Ich lief rückwärts zum Therapieraum hin und schrie: »Ich will hierbleiben, Papa. Ich will nicht sterben, Papa. Bitte lass mich hier, Papa.«
Die Narkononleute, die durch das Geschrei alle zusammen gekommen waren, unterstützten mich. Mein Vater lief raus und brüllte: »Ich hole jetzt die Polizei.«
Ich wusste, dass er das tat. Ich rannte los bis auf den Boden und kletterte aufs Dach. Da war so eine Plattform für den Schornsteinfeger. Auf der hockte ich und fror.
Es kamen dann tatsächlich zwei Peterwagen. Die Bullen durchsuchten mit meinem Vater das Haus von oben bis unten. Die Narkononbosse riefen inzwischen auch nach mir, weil sie Angst gekriegt hatten. Aber auf dem Dach fand mich keiner. Die Bullen und mein Vater zogen wieder ab.
Am nächsten Morgen rief ich meine Mutter bei der Arbeit an. Ich weinte sofort und fragte: »Was ist bloß los?«
Meine Mutter hatte eine ganz kalte Stimme und sagte: »Was mit dir passiert, ist mir vollständig egal.«
Ich sagte: »Ich will nicht, dass Papa mich hier rausholt. Du hast doch das Sorgerecht. Du kannst mich doch nicht einfach im Stich lassen. Ich bleibe jetzt hier, ich hau nie mehr ab. Ich schwör dir das. Bitte, tu was, dass Papa mich nicht hier rausholt. Ich muss hierbleiben, Mutti, wirklich. Ich sterb sonst, Mutti, glaub mir.«
Meine Mutter war richtig ungeduldig und sagte: »Nein, das kommt überhaupt nicht in die Tüte.« Dann legte sie auf.
Ich war erst mal unheimlich fertig. Dann kam meine Wut wieder. Ich sagte mir: »Die können dich mal am Arsch lecken. Dein ganzes Leben haben sie sich nicht um dich gekümmert. Und jetzt springen sie mit dir um, wie sie gerade Bock haben, diese Idioten, die alles immer nur falsch gemacht haben. Diese Schweine haben dich total verkommen lassen. Kessis Mutter, die hat dafür gesorgt, dass ihre Tochter nicht in die totale Scheiße kommt. Und diese Miststücke von Eltern glauben nun plötzlich zu wissen, was für dich gut ist.«
Ich bat um eine Extrasession und fuhr auf diese Session total ab. Ich wollte bei Narkonon bleiben und dann vielleicht Mitglied der Scientology-Church werden. Jedenfalls sollte mich niemand hier rausholen. Ich wollte mich von meinen Eltern nicht weiter kaputtmachen lassen. Das war es, was ich dachte in meinem totalen Hass.
Drei Tage später kam mein Vater wieder. Ich musste runter ins Büro. Mein Vater war ganz ruhig. Er sagte, er müsse mit mir zum Sozialamt wegen des Geldes, das meine Mutter für Narkonon bezahlt habe und vom Sozialamt zurückbekäme.
Ich sagte: »Nein, ich geh nicht mit. Ich kenn dich doch, Papa. Wenn ich mitgehe, sehe ich dieses Haus
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