Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo
Dorthin, wo sie vor Heroin sicher ist.
Meine Mutter in Hessen wollte sie sofort nehmen und meine Schwägerin in Schleswig-Holstein auch. Als ich Christiane meinen Entschluss verkündete, wurde sie auf einmal ganz kleinlaut und verstört. Ich hatte die notwendigen Vorbereitungen bereits eingeleitet. Doch dann schlich Christiane scheinbar reumütig an und war bereit, in eine Therapie zu gehen, Sie hatte sogar einen Therapieplatz gefunden. Bei Narkonon.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Denn ich war unsicher, ob sie’s ohne Therapie in Westdeutschland schafft und meinen Verwandten nicht durchbrennt.
Ich wusste nichts Genaues über Narkonon, nur, dass es dort Geld kostet. Ich fuhr mit ihr zwei Tage vor ihrem fünfzehnten Geburtstag auf der Stelle im Taxi zu Narkonon. Ein junger Mann führte mit uns ein verbindliches Aufnahmegespräch. Er beglückwünschte uns zu unserem Entschluss und versicherte mir, nun brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Die Narkonon-Therapie sei in der Regel ein voller Erfolg. Ich könne ganz beruhigt sein. Ich war erleichtert wie lange nicht mehr.
Dann legte er mir die Zahlungsverpflichtung zur Unterschrift vor. 52 Mark am Tag und jeweils Vorschuss für vier Wochen. Das war mehr, als ich netto verdiente. Aber was machte das schon? Außerdem stellte mir der junge Mann die Erstattung der Therapiekosten durch das Bezirksamt in Aussicht.
Ich kratzte am nächsten Tag 500 Mark zusammen und brachte sie zu Narkonon. Dann nahm ich einen Kredit von 1000 Mark auf und zahlte sie auf dem nächsten Elternabend ein. Die Elternabende führte ein angeblich ehemaliger Abhängiger. Dem sah man seine Vergangenheit überhaupt nicht an. Dank Narkonon, so sagte er, sei er ein neuer Mensch geworden. Und das imponierte uns Eltern. Er beteuerte mir auch, was für Fortschritte Christiane macht.
In Wirklichkeit spielten die uns Theater vor und hatten es auf unser Geld abgesehen. Später erfuhr ich aus der Zeitung, dass Narkonon zu einer dubiosen amerikanischen Sekte gehört und aus der Angst der Eltern Kapital schlagen will.
Aber wie bei allem wurde ich auch hier erst schlau, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Vorerst wähnte ich Christiane bestens aufgehoben. Und da wollte ich sie so lange wie möglich lassen. Also brauchte ich Geld.
Ich lief die Ämter ab. Aber keiner wollte zuständig sein. Keiner schenkte mir reinen Wein ein über Narkonon. Ich fühlte mich entmutigt und verschaukelt. Ich kam mir vor, als ob ich den Leuten ihre Zeit stähle. Irgendjemand sagte mir dann, dass ich als Erstes ein amtsärztliches Attest über Christianes Drogenabhängigkeit brauche, um überhaupt einen Antrag auf Kostenerstattung einer Therapie stellen zu können. Ich hielt das für einen Witz. Jeder, der von der Sache etwas verstand, konnte Christiane das Elend inzwischen ansehen. Aber das war nun mal der Amtsweg. Bloß – als ich nach zwei Wochen endlich einen Termin beim Amtsarzt hatte, war Christiane bei Narkonon bereits wieder ausgerissen. Schon das dritte Mal.
Ich heulte wieder Rotz und Wasser. Ich dachte: Jetzt geht das wieder von vorne los. Ich hatte doch jedes Mal gehofft, vielleicht schafft sie es nun. Ich machte mich mit meinem Freund auf die Suche. Nachmittags grasten wir die Hasenheide ab, abends die Innenstadt und die Diskotheken, zwischendurch die Bahnhöfe. Überall, wo die Szene sich aufhält. Jeden Tag, jede Nacht zogen wir aufs neue los. Wir durchkämmten sogar die Toiletten in der City. Bei der Polizei hatten wir sie als vermisst gemeldet. Die meinten nur, sie nähmen Christiane in die Fahndungsliste auf. Sie würde schon wieder auftauchen.
Am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen. Ich hatte nur noch Angst. Angst vor dem Anruf: Ihre Tochter ist tot. Ich war ein einziges Nervenbündel. Ich hatte keine Lust mehr, kein Interesse, ich musste mich aufraffen zur Arbeit. Ich wollte mich aber auch nicht krankschreiben lassen. Ich kriegte Herzbeschwerden. Meinen linken Arm konnte ich kaum noch bewegen. Nachts schlief er mir immer ein. Es rumpelte in meinem Magen. Die Nieren taten weh und mein Kopf drohte auseinanderzuplatzen. Von mir war nur noch ein Häuflein Elend übrig.
Ich ging zum Arzt. Der gab mir den Rest. Alles nervlich, sagte er nach der Untersuchung und verschrieb mir Valium. Als ich ihm erzählte, warum ich so durcheinander bin, sagte er, vor ein paar Tagen sei auch so ein junges Mädchen zu ihm gekommen und habe ihm gestanden, dass sie drogensüchtig sei, und ihn gefragt, was sie
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