Wir schaffen es gemeinsam
Dame, die mich fesselte. Eine gertenschlanke Frau um die Vierzig mit einer neunzehnjährigen Tochter. Die Tochter war womöglich noch schlanker als die Mutter, aber trotzdem führten sie die Diät mit peinlicher Gewissenhaftigkeit durch.
„Sie sind doch ohnehin so schlank, Fräulein Lind“, wagte ich eines Tages zu sagen, während ich das Essen anrichtete, das aus einem Ei, einem Mager Joghurt und 25 Gramm Schinken bestand. Es war der sechste Tag der Kur, der schlimmste von allen.
„Der Witz ist aber gerade der, sich die Schlankheit zu erhalten!“ antwortete die Mutter wie aus der Pistole geschossen, noch ehe die Tochter den Mund aufmachen konnte. „Sehen Sie mich an, ich bin vierzig, und ich habe eine Figur wie eine Zwanzigjährige, wenn ich das von mir selber sagen darf!“
Das mußte ich zugeben. Aber ich war zu feige, ihr gleichzeitig zu sagen, daß das Gesicht etwas älter aussah als vierzig. Ein bißchen vollere Wangen hätten nichts geschadet, die Furchen von der Nasenwurzel bis zu den Mundwinkeln hätten nicht dasein dürfen.
„Meine Tochter hat im Sommer auf dem Fjäll sechs Pfund zugenommen, und da habe ich dann gleich gesagt, es wäre das beste, man ginge gründlich zu Werke und brächte das Gewicht sofort wieder herunter. Man darf niemals auch nur eine Spur zu dick sein.“ Frau Lind war sichtlich bei ihrem Lieblingsthema angekommen.
„Es ist gesund, dünn zu bleiben. Eine solche Hungerkur ist dem Organismus sehr zuträglich, das habe ich erst neulich wieder gelesen.“
Ich blickte auf Fräulein Lind. Sie war ein kräftiges Mädel mit festen Beinen. Diese Knöchel und Handgelenke ließen sich bestimmt nicht weghungern. Sie hatte einen kräftigen Knochenbau.
Das geht nie im Leben gut, dachte ich bei mir selber, aber wenn ich meine Meinung offen sage, dann sind sie beide sicher tief beleidigt.
Es sollte dann auch gründlich schiefgehen.
Es war der dreizehnte Tag der Kur. 50 Gramm Schnitzel, drei Oliven und eine Tasse Tee. Frau Lind sprach sämtlichen Damen Mut zu, indem sie von Gewichtstabellen und Vitaminen erzählte und welches Mindestmaß an Kalorien man brauche.
Ihre Tochter machte ausnahmsweise auch einmal den Mund auf. Als ich mit meiner Teekanne zu ihr trat, flüsterte sie mir zu: „Fräulein Grundt, mir ist so schwindlig. Kann ich mich einen Augenblick auf die Couch legen?“
„Natürlich, gern“, sagte ich, und Fräulein Lind erhob sich. Sie machte zwei Schritte, taumelte, griff mit der Hand um sich, um irgendwo einen Halt zu finden, und sank zusammen.
Es ist nie angenehm, dabeizusein, wenn Leute ohnmächtig werden. Aber am allerschlimmsten ist es, wenn man das Gefühl hat, man sei selber schuld daran, und wenn zu allem Überfluß zweiundzwanzig mehr oder weniger hysterische Frauen zugegen sind, die alle durcheinanderschreien.
„O Gott, Fräulein Lind hat einen Herzanfall! O Himmel, was sollen wir bloß machen! Ist nicht hier in der Nähe ein Arzt? Doch, hier im Nebenhaus wohnt einer! Laufen Sie, Fräulein Hermansen, der wohnt drei Treppen hoch. Machen Sie rasch!“
Fräulein Hermansen war sofort bereit. Es nützte nicht das geringste, daß ich zu widersprechen versuchte. Ich wurde ganz beiseitegeschoben. Ein paar beflissene Damen hoben das arme Fräulein Lind auf – sie war auch weiß Gott keine schwere Bürde – und legten es auf die Couch.
Eine andere lief und holte Wasser. Und als die Tür aufging und Dr. Steneng im weißen Arztkittel erschien, bewegte Fräulein Lind schon ein wenig die Augenlider.
Ich sah mit einem einzigen Blick an seiner Miene, daß Fräulein Hermansen ihn bereits informiert hatte. Er war nicht schlecht wütend.
Er horchte die Patientin ab, stellte ein paar Fragen, blieb stehen und sah sie prüfend an. Dann drehte er sich zu der Mutter um und sagte mit einer Stimme, die vor Zorn bebte: „Derjenige, der die Schuld daran trägt, daß dieses arme Mädel völlig unterernährt ist, verdiente körperlich gezüchtigt zu werden! Nehmen Sie sie mit nach Hause und geben Sie ihr Milch und Lebertran und Butter, und ruhen Sie nicht eher, als bis sie ausschaut wie ein Mensch. Daß sie keine ernste Krankheit bekommen hat, ist wahrhaftig nicht Ihr Verdienst. Sie besitzt nicht die leiseste Widerstandskraft, jede x-beliebige Krankheit kann sich bei ihr einnisten. Schaffen Sie sie in ein Auto und bringen Sie sie nach Hause und sofort ins Bett. Und dann wird sie sich einer Mastkur unterziehen, haben Sie mich verstanden?“
Frau Lind kam gar nicht dazu, auch nur
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