Wir schaffen es gemeinsam
her.“
Wenn Yvonne sich zu etwas entschlossen hatte, führte sie es sofort aus. Sie zog den neuen grauen Pullover mit dem Rollkragen an und stülpte sich die Mütze über das schwarze glatte Haar.
Da klopfte es an der Tür. Yvonne machte auf. Draußen stand ein hochgewachsener Herr. „Papa!“ sagte Yvonne. Ich begrüßte ihn flüchtig und verschwand von der Bildfläche. Wenn jemals ein ausgiebiger Besuch bei Tante Beate fällig sein sollte, dann mußte es jetzt sein.
Die Dame auf dem Nachttisch
Natürlich hätte ich von vornherein einsehen müssen, daß ich Yvonne, wenn sie sich wieder mit ihrem Vater ausgesöhnt hätte, bis zu einem gewissen Grad verlieren würde. Aber ich gönnte es ihr aufrichtig, was sie jetzt erlebte: Sie ging oft „eben mal auf einen Sprung zu Papa“, wie sie sich ausdrückte. Sie und die Stiefmutter – die übrigens nur zwölf Jahre älter war als Yvonne – hatten sich in einer schlichten und unsentimentalen Art angefreundet. Sie hatten einen gutmütig-neckenden Ton angeschlagen, einen Ton, der Herrn Björgedal zu belustigen schien. Als sie eines Abends bei uns oben waren, redeten Yvonne und Frau Marianne fast die ganze Zeit, Björgedal saß still in einer Ecke und paffte seine Pfeife und hatte ein fröhliches kleines Lächeln um die Mundwinkel.
Ich wurde mit Yvonne zusammen zu ihnen eingeladen. Man führte mir den kleinen Stiefbruder vor, einen süßen, munteren Schlingel, von dem Yvonne schon eine Menge Skizzen gezeichnet hatte. Alle waren sie reizend und kameradschaftlich zu mir. Und trotzdem – ich fühlte mich als fünftes Rad am Wagen! Ein wenig schmerzlich war es andererseits, aber genau dies hatte ich ja Yvonne gewünscht.
Wie hatte sie sich verändert! Das heitere, frische, muntere junge Mädchen – es war nicht zu fassen, daß sie mit dem mageren, verbissenen, blassen Mädchen identisch sein sollte, aus dem kaum ein Wort herauszuholen gewesen war, und das fast nie lächelte.
Ich redete sie eines Tages darauf an.
„Glaubst du nicht, daß ich oft daran denke“, antwortete Yvonne und wurde ernst. „Entsinnst du dich noch des Tages, als du von Nini Geld leihen wolltest?“
„Erinnere mich bloß nicht daran“, sagte ich und fühlte, wie ich rot wurde. „Ich schäme mich, wenn ich daran denke!“
„Das brauchst du nicht. Aber freust du dich heute nicht, daß ich dich davon abhielt? Denk mal, wenn du jetzt herumgehen müßtest mit einem würgenden Gefühl, weil Nini Einblick in unsere Armut und unser Elend bekommen hat. Ist es nicht schön, das Dasein als ein freier Mensch genießen zu können und zu wissen, daß man keinem etwas zu verdanken hat?“
Yvonne hatte natürlich recht. Es war schön, ganz frei zu sein, ganz selbständig. Es verlieh einem ein stolzes Glücksgefühl, das mit nichts anderem verglichen werden konnte. „Wie weit sind deine Reisepläne gediehen?“ fragte ich. „Oh, die sind fix und fertig. Ich sprach gerade gestern mit Papa darüber. Er scheint mich zu verstehen. Aber er kann sich durchaus nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß ich wieder in solch einer Bude wohnen will wie das letztemal. Er will mich um jeden Preis in ein ausgezeichnetes und solides Pensionat schicken, das er von seinen Geschäftsreisen her kennt.“
„Nun, das ist doch aber nur nett und richtig von ihm.“
„Na, natürlich. Aber ich kann doch irgendwo am Stadtrand viel billiger wohnen, weißt du. Na, wir müssen mal sehen. Ich kann ja morgen zu Hause noch mal darüber reden.“
Zu Hause darüber reden. Und ob Yvonne sich verändert hatte! Sie hatte es wahrlich nie zuvor für nötig gehalten, mit irgendeinem Menschen über ihre Pläne zu reden. Und nun „zu Hause“!
Sie machte ein merkwürdiges Gesicht, als sie von ihrem Besuch zurückkehrte. Es sah aus, als habe sie ein paar Tränen zerdrückt.
Ohne ein Wort zu sagen, zog sie ein Stück Papier aus ihrer Handtasche und reichte es mir hin.
Es war ein Scheck über zehntausend Kronen. Unterschrieben S. Björgedal.
„Beitrag zur Reise“, sagte sie leise. „Papa sagte, da meine Ausbildung ihn nichts gekostet habe, sollte ich nun dies bekommen. Jetzt kann ich ein halbes Jahr in Paris bleiben. Noch dazu in einem Pensionat. Wenn ich ein Stipendium kriege, sogar noch länger.“
Ihr Gesicht strahlte. Und ich hatte nicht das Herz, sie an meine eigene Existenz zu erinnern. Ich schloß den Mund fest zu, damit mir nicht die Worte „ich werde schrecklich allein sein“ entschlüpften. Statt dessen fragte ich:
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