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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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Telefonat mochte Geir sich im Nachhinein nicht mehr erinnern. Oddsson behauptet, er hätte zu diesem Gespräch eine Aktennotiz verfasst, die er jedoch zu seinen persönlichen Unterlagen gelegt hätte und nicht zu den Akten der Bank. Einen offiziellen Bericht von der Zentralbank zu dieser Angelegenheit gibt es nicht. Dabei hätte ja so ein Anruf die Regierung sofort dazu bringen müssen, das Ruder herumzuwerfen.
    Es waren ausländische Behörden, in diesem Fall die britischen, die sich bereits im September 2008 wachsende Sorgen wegen der Icesave-Konten machten. Daraufhin kam es zu einem Treffen des britischen Finanzministers Alistair Darling mit seinem isländischen Kollegen, bei dem man unter anderem über die Möglichkeiten und Voraussetzungen dafür sprach, die
Icesave-Konten in einer englischen Filiale zu führen, was wiederum den britischen Einlagesicherungsfonds für deren Sicherung verantwortlich gemacht hätte. Aber nichts geschah. Man hatte Zeit. Währenddessen ging es im amerikanischen Finanzwesen immer schneller bergab, und am 15. September ging die Lehman Brothers Holding bankrott. Nun war Eile geboten. Die isländischen Banken beharrten jedoch darauf, von dieser Entwicklung nicht betroffen zu sein. Eine erstaunliche Feststellung, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel Glitnir in Geschäfte mit Lehman Brothers verwickelt war.
    Danach ging alles ganz schnell. Kurz vor Monatsende erkundigte sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Glitnir Bank, Thorsteinn Mar Baldvinsson, bei der Zentralbank, ob man willens sei, Glitnir ein Darlehen zu gewähren, da man mit dem nächsten großen Zahlungstermin am 15. Oktober nicht zurechtkomme. Am darauffolgenden Wochenende (dem 27./28. September) fanden hektische Gespräche zwischen dem Premierministerium und der Zentralbank statt, die dazu führten, dass man sich für eine staatliche Übernahme von fünfundsiebzig Prozent der Aktien entschloss – vierundachtzig Milliarden Steuergelder (damals ca. sechshundert Millionen Euro) sollten der Bank zufließen. Für die meisten Isländer kam die Übernahme überraschend – nur wenige ahnten, dass Glitnir in so großen Schwierigkeiten steckte. Der Haupteigentümer von Glitnir, mit einem Anteil von zweiunddreißig Prozent, war Jon Asgeir Johannesson von der Baugur-Group, und zwar über seine Firma Stodir, früher FL-Group. Er und der Aufsichtsratsvorsitzende verurteilten die staatliche Übernahme mit harschen Worten, nannten sie unter anderem »den größten Bankraub in der Geschichte Islands«. Die renommierte Rating-Agentur Standard & Poor’s bewertete
die Zahlungsfähigkeit des isländischen Staates daraufhin sofort negativer; eine Welle von Misstrauen schlug den isländischen Banken entgegen, zugesagte Kreditlinien wurden widerrufen.
    In den Tagen danach, als man noch glaubte, eine oder zwei der isländischen Banken wären auf jeden Fall überlebensfähig, wurde die Übernahme von Glitnir heftig diskutiert, doch inzwischen ist das alles reine Spekulation. Binnen kurzem erwies sich die Übernahme nämlich als unhaltbar, da das Volumen der Banken dem isländischen Staat weit über den Kopf gewachsen war – das wirtschaftliche Volumen der drei Banken zusammen genommen war zehnmal größer als das des Staates. Von einer Übernahme ihrer gesamten Verpflichtungen konnte gar nicht die Rede sein. Man hätte vielleicht einer Bank staatlicherseits unter die Arme greifen können, aber niemals allen. Und jetzt waren sie alle in höchster Gefahr.
    Bald war das allen Beteiligten klar. Das ganze Wochenende hielten sich die führenden Minister im so genannten Ministerhaus auf, mit der versammelten isländischen und zum Teil schon ausländischen Presse vor der Tür. Noch am Sonntagabend tat der Premierminister so, als ob keine Eile geboten wäre. Dann wurde plötzlich, am Montag, dem 6. Oktober, eine Fernsehansprache des Premierministers für den Nachmittag angekündigt. Ungläubig verfolgte die Bevölkerung eine Rede, die viel über den Ernst der Lage und die lauernden Gefahren enthielt – aber wenig konkrete Informationen zu der Haltung oder den eventuellen Maßnahmen der Regierung oder dem Schicksal der Banken. Geir Haarde schloss mit den Worten: »Gott segne Island«, und spätestens da wussten alle, dass der Traum von der isländischen Finanzmacht in einer globalisierten Welt ausgeträumt war.

    Am selben Abend verabschiedete das Parlament Notstandsgesetze, die es der Regierung ermöglichten, in die Finanzmärkte einzugreifen. Tags darauf

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