Wir sind alle Islaender
Engländer glaubten, in Island hätte man keine Devisen für das Kerosin, mit unabsehbaren Folgen für den isländischen Fremdenverkehr. Wie in aller Welt konnte das passieren? Wer waren die Verantwortlichen für diese Misere? Das waren die Fragen, die sich immer mehr Leute stellten, nachdem der allererste Schock sich gelegt hatte. Wollte man anfangs noch glauben, Island sei einfach von der internationalen Finanzkrise überrollt worden und die Isländer hätten sich an und für sich nichts vorzuwerfen, wurde der Bevölkerung mit jeder neuen Enthüllung klar, dass die Katastrophe hausgemacht war.
Inzwischen beschäftigt sich ein vom Parlament ins Leben gerufener Untersuchungsausschuss mit der Frage von Schuld und Verantwortung, doch klar ist natürlich: Alle hätten es besser wissen müssen. Die Direktoren der Banken. Die Politiker. Vielleicht sogar die Anleger. Ein so kleines Land wie Island kann sich kein Bankenwesen leisten, das das Zehnfache ihrer
Volkswirtschaft ausmacht. Inzwischen sind noch viel größere Länder mit ihrem Finanzwesen in Schwierigkeiten geraten. Inzwischen zittert die ganze Welt.
Auch die Medien versagten. Obwohl es schon seit 2007 einige kritische Berichte über die isländischen Banken in ausländischen Zeitungen gegeben hatte, trauten sich die isländischen Medien nicht, ordentlich nachzubohren. Die zwei großen Tageszeitungen befanden sich zudem im Besitz von Firmen, die zu den Imperien von Jon Asgeir Johannesson einerseits und Björgolfur Gudmundsson andererseits gehörten. Die Banken und ihre PR-Leute hatten immer außerordentlich genervt auf öffentliche Skepsis reagiert. Man beschuldigte die Kritiker, mit ihrem Gerede die Banken in Gefahr zu bringen; sie galten als Spielverderber, als kleinlich und altmodisch – als unfähig also, die neue, globalisierte Finanzwelt zu verstehen. Es war eine ungesunde Atmosphäre in diesem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts – entweder man nahm teil und unterstützte die ausländischen Eroberungen der »neuen Wikinger«, wie sie sich nannten, oder man war dabei, den Zug der Zeit zu verpassen.
Die Politiker versagten auf ihre Weise und damit auch die demokratische Kontrolle; die wenigsten trauten sich, die fragwürdige Entwicklung zu kritisieren und Forderungen nach strengerer Aufsicht und einer besseren Gesetzgebung zu stellen. Viele machten einfach mit, lobten die großen Errungenschaften der isländischen Kapitalisten im Ausland und unterstützten ihren Expansionsdrang; so zum Beispiel der isländische Präsident Olafur Ragnar Grimsson, der noch dazu das Pech hatte, dass ein paar Wochen nach dem Sturz der Banken eine Hymne auf seine Aktivitäten in diesem Bereich in Buchform erschien – bezahlt von den drei Banken! Aber auch
die Regierung glaubte, den Banken bei jeder kritischen ausländischen Anfrage ein Gesundheitsattest ausstellen zu müssen.
Dabei gab es viele Gefahrensignale, auf die man hätte achten müssen. Am Bedeutsamsten war vielleicht die Verflechtung, ja der Klüngel der Bankeigentümer und Geschäftsleute, die die isländische Wirtschaft kontrollierten. Zerpflückt man alle diese Holding-Firmen und Groups und wie sie sich auch immer nannten, bleiben ungefähr dreißig Personen übrig, die über das finanzielle Schicksal Islands entschieden. Und alle waren sie durch ein dichtes Geflecht miteinander verbunden. Jüngste Enthüllungen von Morgunbladid ergaben, dass zum Beispiel Kaupthing noch im Sommer 2008 seinen Haupteigentümern bzw. ihnen zugehörigen Firmen insgesamt fast fünfhundert Milliarden Kronen lieh – offensichtlich ohne größere Absicherung im Hintergrund.
Gylfi Magnusson, Ökonom und parteiloser Handelsminister der neuen Regierung, sieht viele Parallelen zwischen dem Enron-Skandal in den USA 2001 und der Handlungsweise der isländischen Banken. So haben diese, als alles schon bergab ging, künstliches Eigenkapital geschaffen: erstens indem sie Kredite anboten zum Kauf ihrer eigenen Aktien und diese gleichzeitig als Sicherung nahmen, und zweitens indem sie Firmen überteuert kauften und die Differenz als Goodwill zu Buche führten. So sei auf dem Papier Kapital ohne jeglichen reellen Wert entstanden. Möglich, so Gylfi Magnusson auf einer Pressekonferenz am 24. März 2009, dass man sich damit selber täuschte, aber man täuschte auch andere. Ein fast kriminelles Vorgehen, wie viele inzwischen meinen. Aber wie der Ökonom Mar Gudmundsson, zur Zeit im Management
der internationalen BIS-Bank in Basel, dem Verfasser
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