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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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große Attraktion, weil ich alle Kontonummern der anwesenden Gäste auswendig aufsagen kann. Ich muss nie nach Personalausweisen fragen, ich kann eine Buchung vornehmen, auch wenn das Konto gerade nicht gedeckt ist, weil ich weiß, da kommt morgen Geld.
    Ich habe auch schon mal abends beim Kassensturz gemerkt, dass tausend Euro fehlen. Eine Katastrophe! Also habe ich scharf überlegt, wer alles da war. Und da fiel mir einer von den Bauern ein, die immer ihr Geld so lose zusammengerollt in der Hemdtasche mit sich tragen. Der hatte eine große Summe abgehoben, und ich war mir sicher, dass ich mich da verzählt hatte. Also bin ich hingefahren und hab bei ihm geklingelt. Er hat gleich mal nachgeguckt - und tatsächlich, ich hatte ihm zu viel ausgezahlt. Da hat er nur gelacht und gesagt: »Kann ja mal passieren, Mädchen!«

    Es war auch schon umgekehrt. Da hatte ich abends fünfhundert Euro zu viel in der Kasse. Das ist genauso eine Katastrophe, weil das ja heißt, dass ich einem Kunden sein Geld nicht gegeben habe, ihn sozusagen beklaut habe. Da fiel mir auch ein, wer das gewesen sein muss, ich also gleich hin. Die Kundin war schon ganz aufgelöst, weil sie sich gar nicht erklären konnte, wo das Geld geblieben war, das sie doch gerade erst abgehoben hatte. Mensch, war ich erleichtert. Und sie erst!
    Dadurch, dass ich alle meine Kunden kenne und die mir so stark vertrauen, trage ich natürlich auch eine besondere Verantwortung. Ich bekomme natürlich auch Druck von oben, regelmäßig bestimmte Versicherungen oder Anlageprodukte zu verkaufen, es gibt eine vorgeschriebene Stückzahl, die man erbringen muss. Ich musste dann auch einmal zu einem Verkaufstraining, wo man dann so sprachliche Tricks lernt. Den Kunden zum Beispiel nicht anrufen und fragen: »Wollen wir nicht mal einen Termin machen und über Ihre Altersvorsorge reden?« Sondern sagen: »Ich möchte Sie gern einladen. Passt es Ihnen besser vormittags oder nachmittags?« Die Leute gleich festnageln. Und ihnen Dinge zwar erklären, aber nicht unbedingt so, dass sie das auch verstehen.
    Ich weiß, dass das in den großen Filialen so gemacht wird: Die Leute werden ganz bewusst schlecht beraten. Und vor allem so, dass ihnen die Risiken bestimmter Anlagen gar nicht so richtig klar sind. Das wird von oben auch durchaus so gewünscht. Da werden Milliardenumsätze
gemacht, aber das ist immer noch nicht genug. Aber so kann ich nicht arbeiten. Ich kann nicht in diesen Textbausteinen sprechen, das merken die Kunden doch. Die kennen mich seit Jahren und wundern sich dann, wenn ich plötzlich so komisch mit ihnen rede. Und wenn ich denen irgendeinen Quatsch andrehe und die verlieren eine Menge Geld, ohne dass ihnen vorher ganz genau bewusst war, welches Risiko sie eingehen, dann kann ich mich im Ort ja nie wieder blicken lassen.
    Ich hatte mal einen jungen Kollegen, der hat die Anlagegeschäfte in der Filiale gemacht. Und als ich mal mitbekommen habe, wie der mit den Leuten redet, bin ich sofort dazwischengegangen. Der schmiss mit diesen ganzen Fachbegriffen um sich, und der arme Kunde rutschte immer tiefer in seinen Stuhl und war total verunsichert. So kann man mit den Leuten doch nicht reden! Und so macht die Bank auch kein gutes Geschäft.
    Ich bin da immer im Zwiespalt, besonders wenn es um Kleinkredite geht. Ich kann den Leuten ja nicht sagen: »Hör mal, das sind echt schlechte Konditionen hier, überleg dir das, denk an die hohen Zinsen.« Aber ein bisschen leid tut es mir schon, die Leute brauchen eben dringend Geld, egal welche Konsequenzen das hat.
    Die Bank unterscheidet auch zwischen A-Kunden und B-Kunden. A-Kunden sind die mit besonders viel Geld, und die werden dann natürlich auch besser behandelt. Bei mir im Ort hatten die Bezirksleiter verfügt, dass alle A-Kunden vor Weihnachten eine Flasche Wein nach Hause geliefert bekommen sollten. Und ich habe gesagt:
»Seid ihr wahnsinnig? Die reden doch alle untereinander! Dann erzählt einer seinem Nachbarn: ›Du, hast du auch dieses Paket von Ingrid bekommen?‹ Und wenn nicht, dann ist der natürlich sauer. So was geht nicht auf dem Land!«
    Zweimal bin ich inzwischen überfallen worden. Das erste Mal war kurz nach der Wende, da haben sie mir nachts den Tresor ausgeräumt. Die Bank war damals noch in einer ganz schäbigen Hütte, mit einem Dach aus einfachem Wellasbest. Da haben die sich einfach durchgesägt, und

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