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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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hinterherkraulte, um sie in der Flussmitte einzuholen und wie eine widerspenstigste Katze zu ersäufen.

    Zeit für Plan B.
    Von allen verrückten Ideen war das vermutlich die allerverrückteste, aber ihre gesamte Logik und Vernunft hatten bisher nur dazu geführt, dass ihre Situation sekündlich schlimmer wurde. Und was hatte sie zu verlieren?
    Ohne langsamer zu werden, riss sie ihre rote Wühltischbeute unter der Jacke heraus, klemmte sich die Aldi-Tüte zwischen die Zähne und schlüpfte im Rennen aus der Jacke. Noch fünf Sekunden. Wenn sie Glück hatte. Keine Chance.
    Sie versuchte es trotzdem, jagte, so schnell sie konnte, auf einen der kümmerlichen Büsche am Ufer zu und schlüpfte in einer einzigen, fließenden Bewegung aus Jeans, Sneakers und T-Shirt, und als wäre das allein noch nicht unmöglich genug, gelang es ihr sogar noch, in das gestohlene Sommerkleid zu hüpfen, Hose und Jacke in die Plastiktüte zu stopfen und sich auf das Handy und Iwanowitschs Brieftasche zu setzen, bevor der Blondschopf hinter ihr aus der Gasse gestürmt kam. Der allerletzte Teil ihres Plans funktionierte nicht ganz: Die Aldi-Tüte mit ihrer Diebesmontur verfing sich an ihrem kleinen Zeh, statt wunschgemäß im schmutzigen Wasser des Kanals zu versinken, aber damit musste sie leben. Hinter ihr polterten schwere Schritte aus der Gasse heraus und brachen dann abrupt ab. Das Allerletzte, was sie sich jetzt leisten konnte, war eine hastige Bewegung. Auch wenn sie sich nicht die winzigste Chance ausrechnete, mit diesem Rollentausch durchzukommen. Sie versuchte die Tüte unauffällig mit dem Fuß unter Wasser zu drücken, mit dem einzigen Ergebnis allerdings, dass sich die darin eingesperrte Luft aufblies und das verdammte Ding nur noch auffälliger wurde.
    Wieder hörte sie Schritte, die näher kamen, zögerten, sich abermals näherten und dann ganz abbrachen. Sich nicht herumzudrehen und zu ihrem hartnäckigen Verfolger hochzusehen, kostete sie nahezu alle Kraft, die sie noch aufbringen
konnte. Sie musste schlicht den Verstand verloren haben, auch nur eine einzige Sekunde lang zu glauben, dass sie mit dieser hirnrissigen Idee durchkam!
    »Hi!«, sagte eine Stimme hinter ihr. Eine sehr angenehme Stimme, deren bloßer Klang ihr ein Kribbeln über den Rücken jagte, das nun wirklich nicht hierher gehörte.
    Lena versuchte den Gedanken zu verscheuchen und ballte zusätzlich die Hand zur Faust, um den Schmerz erneut zu entfachen. Es funktionierte. Das dumpfe Pochen in der tiefen Schnittwunde hätte ihr zwar fast die Tränen in die Augen getrieben, vertrieb aber auch alle anderen Gedanken und erinnerte sie daran, was hier auf dem Spiel stand.
    Betont langsam drehte sie den Kopf und blinzelte in ein Gesicht hinauf, das ihr noch deutlich näher war, als sie sowieso schon befürchtet hatte.
    »Hi«, antwortete sie mit einiger Verspätung und selbst ein bisschen erstaunt, wie beiläufig ihre Stimme klang. Sollte sie noch einmal auf die Welt kommen, dachte sie, dann würde sie ernsthaft eine Karriere als Schauspielerin in Betracht ziehen.
    »Hast du hier’nen Typen vorbeikommen sehen?«, fragte der Blondschopf und hob die Hand, um eine Größe anzuzeigen, die so genau der Lenas entsprach, als hätte er nachgemessen. »So groß etwa, Kapuzenjacke, Jeans und ziemlich neue Sneakers?«
    Die jetzt gerade untergehen und damit endgültig ruiniert sind. Er war nicht nur süß, sondern offensichtlich auch noch ein ganz ausgezeichneter Beobachter.
    Lena tat so, als müsste sie einen Moment lang nachdenken, und reagierte dann mit einer Mischung aus einem Kopfschütteln und einem bedauernden Achselzucken. »Tut mir leid.«
    Blondie legte den Kopf auf die Seite und sah sie so durchdringend an, dass ihr schon wieder ein kalter Schauer über den Rücken lief, wenn auch jetzt aus vollkommen anderen Gründen.
Er spielte nur mit ihr, begriff sie. Der Uferstreifen war menschenleer, und er war nur wenige Sekunden nach ihr aus der Gasse gestürmt. Dass er einen Jungen in Jeans und schwarzer Jacke verfolgt hatte und nun einem jungen Mädchen in einem dünnen roten Sommerkleid gegenüberstand, mochte ihn ein bisschen verwirren, aber mehr auch nicht. Schließlich war er nicht blöd. Wer so gut aussah, konnte nicht blöd sein.
    Lena war ein ganz kleines bisschen enttäuscht. Okay, er hatte sie, aber sich noch über sie lustig zu machen, das … gehörte sich einfach nicht , basta!
    Statt jedoch hinter sich zu greifen und in typischer Hollywood-Manier ein Paar

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