Wir sind die Nacht
Licht, die das gesamte Gebäude in seinen Grundfesten zu erschüttern schien und sie beide von den Beinen riss. Aus der Tür wurde der lodernde Schlund eines Vulkans, der Flammen und Rauch und Millionen golden schimmernder Funken spie, und noch bevor Lena auf dem Boden aufschlug, erwachte die Sprinkleranlage unter der Decke zum Leben und überschüttete sie mit einem Sprühregen aus eisigem Wasser. Zischender Dampf erfüllte die Luft, wo sich Wasser und Flammen gegenseitig verzehrten, und dem Feuer folgte ein Schwall goldener Funken, Tausende, Millionen schimmernder Sonnenkinder, die einem Ausgang entgegenstrebten, den es nicht gab, und deshalb unter der Decke verglühten oder von der Sturmflut aus der Sprinkleranlage ertränkt wurden.
Lena blieb einen Moment benommen liegen. Das Dröhnen der Explosion hallte schrill in ihren Ohren wider, eisiges Wasser strömte über ihr Gesicht und löschte die Glut, die noch immer an Charlottes Haaren und Kleidern fraß, und tief in ihrer Seele hallte ein gellender Todesschrei, von dem sie nicht sagen konnte, ob er von Nora oder dem Strigoi stammte oder von beiden; ein Schrei so voller unvorstellbarem Entsetzen und Angst, dass es auch in ihr jegliches Leben zu ersticken drohte.
Dann herrschte Stille. Nur das Schrillen des Feueralarms klingelte noch in ihren Ohren, und das eisige Zischen, mit dem die Sprinkleranlage weiter ihr Löschwasser versprühte.
»Er … hat sie … umgebracht«, flüsterte Lena. »Er hat sie einfach … umgebracht.«
»Nein, Kleines«, sagte Charlotte, die sich unsicher auf die Ellbogen hochstemmte. »Das hat er nicht.«
Sie stand auf, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, um das Wasser wegzuwischen, und half Lena dann auf die Beine. Die andere Hand streckte sie nach der Tür aus.
Aber die Tür wurde von außen aufgerissen, bevor sie die Klinke erreichte, und wenn Lena geglaubt hatte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, dann sah sie sich getäuscht. Auch in der großen Schwimmhalle draußen schrillte der Feueralarm. Mindestens ein halbes Dutzend Menschen stürzte scheinbar kopflos durcheinander, und vier weitere standen unmittelbar vor der Tür. Zwei von ihnen trugen schusssichere Westen mit dem auffälligen Aufdruck POLIZEI, schwarze Sturmhauben, Schutzbrillen und Helme, die beiden anderen Zivil, aber ihr Anblick erschreckte sie beinahe noch mehr. Mit einem von beiden hatte sie vor kurzer Zeit noch telefoniert, wenn auch unfreiwillig, der andere - leichenblass und mit einem weißen Verband von der Dimension eines absurden Turbans um Stirn und Schläfen - war Tom selbst, und er starrte sie mindestens genauso erschrocken und fassungslos an wie sie ihn.
»Lena?«, murmelte er. »Was …?«
»Was ist hier los?«, unterbrach ihn Lummer. »Was zum Teufel noch mal …?«
Charlotte stieß mit einer blitzartigen Bewegung beide Arme nach vorn und rammte den beiden uniformierten Polizisten die Handballen so fest gegen ihre Panzerwesten, dass sie meterweit zurückgeschleudert wurden und zu Boden gingen; wenigstens einer von ihnen. Der andere hatte das Pech, mit einem gewaltigen Platschen rücklings in den Pool zu fallen.
Eines musste man Toms Kollegen lassen, dachte Lena benommen: Er mochte aussehen wie ein gemütliches Weihnachtsmann-Double,
aber er hatte die Reflexe eines Zwanzigjährigen. Er steppte zur Seite und schoss einen Fausthieb nach Charlottes Kinn ab, der jeden anderen an ihrer Stelle augenblicklich ins Reich der Träume geschickt hätte.
Unglückseligerweise (für ihn) war Charlotte nicht jeder andere. Mit einer fast beiläufig wirkenden Bewegung duckte sie sich unter dem Hieb weg, packte sein Handgelenk und verdrehte es mit einem so harten Ruck, dass Lummer aufschrie und einen grotesken halben Salto rückwärts vollführte, um dann schwer auf dem gefliesten Boden aufzuschlagen.
»Aber …«, stammelte Tom, und Charlotte schlug ihm den Handrücken ins Gesicht, woraufhin er halb besinnungslos in die Knie brach.
»Weg!«, befahl Charlotte, wartete Lenas Reaktion aber gar nicht erst ab, sondern zerrte sie einfach mit sich. Rings um sie herum brach endgültig Panik aus. Der eine der beiden Uniformierten versuchte sich hochzustemmen und tastete benommen nach seiner MPi, die neben ihm auf dem Boden lag. Charlotte versetzte ihm im Vorbeirennen einen Tritt, der seine Schutzbrille zerbersten ließ und ihm endgültig das Bewusstsein raubte.
Sie rasten zum Ausgang, waren Sekunden später im Parkhaus und jagten dann die Treppe zur Lobby
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