Wir sind die Nacht
ausgeschaltet, die davorgestanden hatten. Einer brach gerade mit einem lautlosen Seufzen zusammen und ließ seine Waffe fallen. Charlotte fing sie auf, bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte.
»Schnell!«, sagte sie. »Sie sind gleich da!«
Sie drehte den Türknauf so kräftig herum, dass die robuste Mechanik krachend zerbrach und die Tür aufsprang. Zugleich ließ sie sich in die Hocke sinken, um eine weitere MPi aus der schlaffen Hand eines der drei Polizisten zu nehmen. Auch diese drei Männer lebten noch, wenngleich zumindest einer verletzt war und stark blutete. Vielleicht hatte sie Charlotte ja doch falsch eingeschätzt, dachte Lena.
Noch bevor Charlotte wieder aufstehen konnte, wurde die Tür von innen aufgerissen, und Louise erschien kampfbereit im Rahmen. Mit einem einzigem Blick schien sie die Lage zu erfassen,
zog Charlotte zu sich herein und befahl Lena mit einem herrischen Blick zu sich. Etwas polterte hinter ihr, und sie hörte das Summen, mit dem die Liftkabine näher kam, dann warf Louise die Tür ins Schloss und fuhr sie an: »Was ist passiert?«
»Anton«, antwortete Charlotte an ihrer Stelle. »Er war unten, in der Sauna.«
»Die halbe Straße ist voller Polizei!«, fauchte Louise. Etwas Dunkles und sehr Gefährliches erschien in ihren Augen. »Verdammt, was soll das heißen: Anton ist hier? Wo?«
»Er ist tot«, antwortete Charlotte ruhig. »Und Nora auch.«
Louise starrte sie an. »Ich weiß«, murmelte sie schließlich. »Aber was …?«
»Warten wir, bis Lenas Freund mit der gesamten Kavallerie hier ist, damit ich es nicht zweimal erzählen muss, oder verschwinden wir lieber?«, unterbrach sie Charlotte. Sie deutete auf die Tür, die sich geweigert hatte, in dem zerbrochenen Schloss einzurasten, und wieder ein Stück weit aufgesprungen war. »Sie sind gleich da.«
Louise zwang sich zu einem abgehackten Nicken und fuhr auf dem Absatz herum. »Komm mit!«, sagte sie zu Lena.
»Verschwindet von hier!«, rief ihnen Charlotte zu. »Ich halte sie auf!«
Lena fragte sich noch, wie Charlotte dieses Kunststück bewerkstelligen wollte, aber Louise stieß sie schnell ins Nebenzimmer und warf die Tür hinter sich zu. Auf der anderen Seite ertönte ein Poltern und dann so etwas wie ein ungläubiges Grunzen, aber Louise stieß Lena auch jetzt so derb weiter, dass sie gegen das Bett stolperte. Louise riss ungestüm den Safe auf, der sich hinter einer Schranktür verbarg, und entnahm ihm eine in schwarzes Leder gebundene Mappe. Mit der anderen Hand warf sie Lena saubere (und nicht ganz so angesengte) Kleidung zu: Jeans und einen schwarzen Kapuzenpullover, der ihr vage bekannt vorkam. Und irgendwie - obwohl es eigentlich
ganz und gar unmöglich war - hatte Louise sich ebenfalls schon umgezogen, noch bevor Lena auch nur in die Jeans schlüpfen konnte.
Ein Schrei drang durch die geschlossene Tür, gefolgt von eindeutigen Kampfgeräuschen. Louise huschte hin, öffnete die Tür einen Spalt und spähte hindurch, machte aber keine Anstalten, Charlotte zu Hilfe zu eilen, sondern schüttelte fast erschrocken den Kopf, als Lena sich zu ihr gesellen wollte.
»Raus hier!«, befahl sie. »Schnell!«
Raus hier, dachte Lena verwirrt. Aber wie denn? Zu ihrem maßlosen Entsetzen riss Louise die Gardine herunter, öffnete die Tür und stieß sie auf den Balkon hinaus. Helles Tageslicht biss in ihre Augen, und etwas wie eine unsichtbare weißglühende Hand schien über ihr Gesicht zu streifen. Lena konnte spüren, wie ihre Haut Blasen schlug und sich schwarz färbte, riss instinktiv die Hände vor das Gesicht und roch verbranntes Fleisch. Flammen und orangefarbene Funken sprühten aus ihren Fingern. Louise versetzte ihr einen Stoß, der sie aus dem verzehrenden Sonnenlicht heraus gegen die Balkonwand schleuderte. Der Schmerz und die Flammen erloschen, aber die Angst blieb. Hier draußen würden sie sterben, und selbst wenn die Sonne sie nicht umbrachte, mussten die Polizisten sie erwischen.
Dann begriff sie, was Louise vorhatte, und zweifelte endgültig an deren Verstand. Louise schwang sich über die seitliche Balkonbrüstung und klammerte sich an der Wand fest, wie Charlotte es zuvor im Aufzugschacht getan hatte. Sie schlang den Arm um Lenas Taille, hob sie über die Brüstung und tat dann etwas, was völlig unmöglich war: Sie stemmte sich in die Höhe, bis sie aufrecht im rechten Winkel auf der Fassade stand. Wie selbstverständlich lief sie, Lena wie eine Puppe an sich gedrückt, an der Fassade hinab,
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