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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Ich wollte das nicht, glaub mir!« Sie hob die Hände zu einer hilflosen Geste und wich einen Schritt zurück. »Das … das war doch nur wegen … wegen Charlotte! Sie ist tot, und ich habe sie geliebt, und …« Ihre Stimme versagte. Tränen liefen ihr übers Gesicht, und nun begann auch sie am ganzen Leib zu zittern. »Bitte, Lena, verzeih mir!«
    Irgendwie gelang es Lena, die Tränen wegzublinzeln (sie hatte nicht einmal gemerkt, dass sie weinte) und sich aus eigener Kraft aufzurichten. Louise streckte schon wieder die Hand aus, um sie zu stützen, ließ den Arm dann aber erschrocken wieder sinken, als sie ihrem Blick begegnete.
    »Bitte«, flehte sie.
    Lena zog hastig ihre zerrissenen Jeans hoch, die ihr um die Knie hingen. Mit der linken Hand raffte sie die Bluse vor der Brust zusammen, stolperte ins Nebenzimmer und riss den erstbesten Schrank auf. Er war leer, so wie die anderen es auch sein würden. Sie waren mit kleinem Gepäck angereist, zwei Koffern voller Blutkonserven, ein paar Millionen in bar und Wertpapieren in einer Reisetasche.
    Louise folgte ihr, blieb unter der Tür stehen und sah nun endgültig wie das personifizierte schlechte Gewissen aus. »Ich … bitte … es tut mir leid«, stammelte sie. »Ich wollte das nicht, bitte glaub mir!«
    Sie brach ab, als Lena sie, die offene Schranktür noch in der Hand, vorwurfsvoll ansah. Erst sah Louise einfach nur noch
hilfloser aus, dann schüttelte sie den Kopf und rettete sich in ein nervöses Lächeln.
    »Ich besorge dir etwas zum Anziehen«, sagte sie. »Warte hier.« Und damit verschwand sie fluchtartig aus dem Zimmer.
    Lena wartete, bis sie das Geräusch der Aufzugtür hörte, eilte ihr dann nach und zerbrach sich dabei den Kopf über eine Möglichkeit, wie sie den Lift blockieren und Louise somit daran hindern konnte, wieder heraufzufahren. Das kleine Licht neben der Tür blieb dunkel, als sie den Rufknopf drückte. Wahrscheinlich hatte Louise ihrerseits die Tür unten blockiert, um sie hier oben zu halten.
    Lena gab einem verächtlichen Laut von sich, rannte zum anderen Ende des Zimmers und stieß dann enttäuscht die Luft zwischen den Zähnen aus, als sie die Tür zum Treppenhaus erreichte. Sie bestand wie die zur Dachterrasse oben aus Metall, ging ebenfalls nach innen auf, sah beinahe noch massiver aus und hatte keine Klinke, sondern nur ein Sicherheitsschloss. Den dazu passenden Schlüssel trug wahrscheinlich Louise bei sich.
    So viel zu ihren Beteuerungen, dass es ihr leidtat. Sie hatte sie hier oben eingesperrt, so einfach war das.
    Und so dumm.
    Lena investierte einige kostbare Minuten darin, sämtliche Schränke und Schubladen der Turmwohnung wider besseres Wissen nach irgendetwas zu durchsuchen, was wenigstens Ähnlichkeit mit einem Kleidungsstück hatte, ersetzte ihren zerrissenen Gürtel schließlich durch die Kordel des Duschvorhangs und kehrte dann noch einmal zu Louises Schrank zurück, um sich über die Reisetasche herzumachen. Da sie nicht genau wusste, in welchem Land sie waren, stopfte sie sich eine Handvoll Euroscheine in die rechte und ein paar Hundert US-Dollar in die linke Hosentasche. Sie wollte schon gehen, machte aber noch einmal kehrt, um vielleicht noch ein paar Uhren und Schmuckstücke mitzunehmen, damit sie im Notfall etwas zum Tauschen hatte.
    Dann erstarrte sie mitten in der Bewegung.
    Der komplette Boden der Reisetasche war mit Ringen, Armbändern, Ketten und Uhren bedeckt, von denen die billigste wahrscheinlich dem Gegenwert eines Kleinwagens entsprach. Ihre Hand verharrte über einer der schmalen Uhren, und ihre Finger begannen zu zittern. Sie kannte sie. Lena war alles, nur keine Spezialistin für teuren Schmuck, aber diese elegante Damen-Rolex hätte sie unter tausend anderen wiedererkannt. Als sie sie das letzte Mal gesehen hatte, da hatte sie sich in einem kleinen Einmachglas hinter einem losen Paneel befunden.
    Sie konnte nicht sagen, ob es Schrecken war, den sie empfand, Entsetzen oder Trauer oder etwas gänzlich anderes, für das sie kein Wort hatte. Aber plötzlich ergab alles einen Sinn. Sie hatte Charlottes Worte falsch verstanden. Vielleicht war es tatsächlich Nora gewesen, die den Jungen (und sogar ihre Mutter) getötet hatte, um sie so wütend zu machen, dass sie endgültig den letzten Schritt tat und zu der gleichen Art von Ungeheuer wurde wie Louise und sie. Aber wenn, dann hatte Louise davon gewusst. Wahrscheinlich hatte sie ihr sogar den Auftrag dazu gegeben.
    Lena hätte nicht sagen können, wie

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