Wir sind die Nacht
alles auf eine Karte zu setzen und loszustürzen. Null. Sie war hoffnungslos in der Menge eingekeilt, und wahrscheinlich wartete der Gorilla nur darauf, dass sie ihm einen Vorwand lieferte, um sie zu packen und sich wie einen nassen Sack über die Schulter zu werfen. Gleich würde er in ihre Umhängetasche greifen und die Brieftasche herausholen, um sie ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, und dann
war es nur noch die Frage, wer die Polizei rief, der Armani-Träger oder der Rausschmeißer.
»Du kannst gern noch ein bisschen hier stehen und frieren«, antwortete er lächelnd, »oder du kommst mit rein und stürzt dich ins heiße Nachtleben. Deine Entscheidung.«
Tatsächlich dauerte es einen Moment, bis Lena wirklich begriff, was sie da gerade gehört hatte. »Du meinst, ich … muss nicht mitkommen?« Zweifellos machte er sich über sie lustig.
»Schätzchen, du machst dir hier im Moment nicht gerade Freunde«, mischte sich die Dunkelhaarige ein. Sie klang ein bisschen neidisch. »Also halt den Betrieb nicht länger auf, sondern geh rein oder verschwinde.«
Der Türsteher pflichtete ihr mit einem Lächeln bei, das durchaus echt wirkte, machte aber auch gleichzeitig eine Geste zur Tür hin, die etwas sehr Befehlendes hatte. Nein, natürlich würde er sie nicht gehen lassen; aber anscheinend hatte er den Auftrag bekommen, die Angelegenheit möglichst diskret zu regeln. Dem Management von CHARLOTTES CLUB war gewiss nicht an einem Skandal gelegen. Ihr auch nicht.
Mit einem lautlosen Seufzen bekundete sie ihre Zustimmung und folgte dem Burschen an der Schlange vorbei zur Tür. Er schien sich verdammt sicher zu sein, dass sie nicht weglief, jedenfalls sah er nicht ein einziges Mal zurück. Irgendetwas Seltsames ging hier vor. Lena hatte immer noch das Gefühl, angestarrt zu werden; und das nicht nur von der Kamera, die ihren Bewegungen mit einem lautlosen Schwenk folgte, und den neidischen Blicken der anderen Wartenden, an denen sie jetzt vorbeimarschierte. Da war … noch etwas. Etwas sehr Unangenehmes, das ihr aber verrückterweise zugleich das Gefühl gab, es zu kennen.
Ihr breitschultriger Führer riss die Tür auf und scheuchte dabei den Club-Besucher zurück, der ihnen mit leicht schwankenden Schritten entgegenkam und Lena aus glasigen Augen
anstarrte. Die Musik wurde lauter, aber nicht unbedingt angenehmer - irgendeine Mischung aus Jazz und Blues, die nicht nur Lenas Geschmack nicht widersprach, sondern irgendwie auch nicht zu einem angesagten Club wie diesem passte.
»Die Toiletten sind da hinten!« Der Türsteher deutete über das Gewirr auf der Tanzfläche und schaffte es, die Musik zu übertönen, ohne die Stimme dabei merklich zu heben. »Gibt auch warmes Wasser … falls du dir die Füße waschen willst.«
Weil schmutzige Füße so schlecht zu verchromten Handschellen passen?, dachte Lena. Sie sah kurz auf ihre bloßen Zehen hinab - sie starrten tatsächlich so vor Schmutz, dass es sogar in der schlechten Beleuchtung hier drinnen zu sehen war. Auf der Tanzfläche herrschte ein unbeschreibliches Gedränge, und auch wenn es ihr ein Rätsel war, wie das ohne Sehnenzerrungen, verstauchte Knöchel oder noch schwerere Verletzungen funktionierte, tanzte mindestens die Hälfte der weiblichen Gäste in High Heels und die andere in Stiefeln. Die Tanzfläche mit nackten Füßen zu überqueren kam ungefähr dem Versuch gleich, unter einer überdimensionalen Nähmaschine hindurchzurennen.
Der Türsteher legte den Kopf schräg, schien einen Moment lang in sich hineinzulauschen und nickte dann, wie um eine lautlos gestellte Frage zu beantworten. Kommentarlos streckte er die Hand nach Lena aus, umschloss ihren gesamten Bizeps mit seiner gewaltigen Pranke und zog sie hinter sich her. Mit seinen breiten Schultern pflügte er wie ein Eisbrecher durch die Menge, so dass sie tatsächlich ohne größere Blessuren auf der anderen Seite ankam.
Der Gorilla ließ endlich ihren Arm los, schüttelte aber heftig den Kopf, als sie die Toilette ansteuern wollte, und deutete auf eine schmalere Tür daneben, auf der ein dezentes Schild STAFF ONLY verkündete. Wortlos trat er heran, tippte eine vierstellige Ziffernkombination in eine Tastatur neben der Tür und stieß sie dann mit gespreizten Fingern einen Spaltbreit auf.
»Von innen geht sie normal auf«, sagte er. »Lass dir ruhig Zeit. Und viel Spaß danach.«
Und damit verschwand er in dem Gewusel auf der Tanzfläche und ließ eine völlig perplexe Lena zurück.
Was
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