Wir sind die Nacht
zum Teufel ging hier vor?
Sie wartete eine geschlagene Minute lang darauf, dass der Türsteher oder einer seiner Kollegen zurückkam, um ihr mit einem breiten Grinsen zu verkünden, dass der spaßige Teil nun vorbei sei und jetzt der offizielle Part beginne - der mit den Handschellen, den Jungs mit den schwarzen Uniformen und dem Streifenwagen. Als sie schließlich begriff, dass das in absehbarer Zeit nicht geschehen würde, schlüpfte sie durch die Tür, bevor diese zufallen und sie aussperren konnte.
Der Raum dahinter war klein, aber vom Feinsten: eine Toilette in einer separaten Kabine, ein Bidet und eine winzige Duschtasse, in der es tatsächlich heißes Wasser gab, alles in golden marmoriertem schwarzem Granit gehalten, hippe Designer-Armaturen und geschickt angebrachte indirekte Beleuchtung. Die Leute hier wussten zu leben, das musste sie zugeben.
Sie benutzte das heiße Wasser ausgiebig, bis ihre Füße nicht nur sauber waren, sondern sich auch wieder wie etwas Lebendiges anfühlten. Dann entdeckte sie etwas, was ihrem Misstrauen neue Nahrung gab: Auf dem schwarzen Marmor des Waschbeckens stand ein Paar feuerroter Pumps, die sie nicht einmal anprobieren musste, um zu wissen, dass sie genau ihre Größe hatten. Erschrocken drehte sie sich einmal um die eigene Achse und suchte die Decke, die Wände und jeden noch so kleinen Winkel ab, in dem man eine Kamera hätte verstecken können. Sie fand nichts, was aber wenig bedeutete. Schließlich wusste sie, wie winzig die Dinger heutzutage waren. Außerdem war da auch noch der Spiegel. Und sie spürte einfach, dass sie beobachtet wurde. Nein. Nicht beobachtet. Belauert .
Also doch, dachte sie grimmig. Jemand spielte hier ein ganz
mieses Spiel mit ihr. Aber gut, dieses Spiel beherrschte sie auch. Mal sehen, wer am Schluss als der Dumme dastand.
Sie schlüpfte in die Schuhe, schnitt dem Spiegel und der Kamera, die mit Sicherheit dahinter verborgen war, eine Grimasse und drückte dann vorsichtig die Klinke herunter. Eigentlich war sie darauf gefasst, sich doch eingesperrt zu finden, aber die Tür ging problemlos auf. Davor stand auch kein weiterer Ray-Ban-Träger, um sie in Empfang zu nehmen und den fürsorglichen Armen der Behörden zu übergeben.
Die Musik hatte gewechselt (erst im Nachhinein fiel ihr auf, dass die winzige Toilette vollkommen schalldicht gewesen war), entsprach aber noch immer nicht ihrem Geschmack - irgendein angesagtes Stück aus den Charts, vermutete sie -, und das Gedränge auf der Tanzfläche war noch einmal schlimmer geworden. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war immer noch da, jetzt aber nichts Besonderes. Immerhin war sie an einem Ort, an den man üblicherweise ging, um angestarrt zu werden.
Sie blieb trotzdem noch einen Moment stehen und hielt nach demjenigen Ausschau, von dem sie so durchdringend angestarrt wurde. Im Augenblick kam dafür aber so ungefähr jeder Zweite hier drinnen infrage.
Auf der anderen Seite des zu einer Mischung aus Disco und High-End-Nachtclub umgebauten Schwimmbades erhob sich eine futuristische Bar, hinter der ein halbes Dutzend sowohl männlicher als auch weiblicher Barkeeper in noblen Kleidern damit beschäftigt waren, Drinks zu mixen, Bier oder Cocktails auszuschenken oder auch einfach nur ein kleines Schwätzchen mit einem Gast zu halten; eben das, was Barkeeper so taten … Jedenfalls nahm Lena das an, stammte ihr Wissen über derartige Etablissements doch lediglich aus einschlägigen Filmen oder Büchern. Sie selbst war noch nie in einem so noblen Schuppen gewesen. Ganz davon abgesehen, dass man sie normalerweise niemals hier eingelassen hätte, war es einfach … nicht ihre Welt.
Was bislang vielleicht ein Fehler gewesen war, dachte sie, während ihr Blick über die dicht gedrängt tanzende Menge mit all den teuren Kleidern und Schmuckstücken und Anzügen und Accessoires tastete. Nicht wenige der aufgedonnerten Tussis trugen Schuhe, die mehr gekostet haben mussten, als sie in einem ganzen Monat verdiente. Und was den Schmuck und die teuren Uhren anging: Wenn auch nur ein Drittel davon echt war …
Reiche Jagdgründe.
Das Licht flackerte, und der Chartbreaker verstummte mitten in einem Akkord, um vom hämmernden Bass eines viel härteren Stückes abgelöst zu werden, was einen Moment lang für Verwirrung auf der Tanzfläche sorgte. Etliche Pärchen trennten sich voneinander, um einzeln weiterzutanzen, und andere verließen die Tanzfläche ganz, wodurch auch ein paar ihrer potenziellen Opfer aus
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