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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Nägeln. Barfuß hierher zu kommen war eine Schnapsidee gewesen, das hatte sie spätestens in dem Moment begriffen, in dem der erste Trottel ihr mit den Absätzen auf die Zehen getreten war, und es in diesem dünnen roten Fummel zu tun, der ihr schon längst nicht mehr hip vorkam, sondern nur noch schäbig, erst recht.
    Die allergrößte Schnapsidee war natürlich die gewesen, überhaupt hierher zu kommen.
    Der Club, einer dieser typischen Yuppie-Tempel, existierte seit mindestens zehn Jahren. Er war in einem umgebauten Schwimmbad aus dem 18. Jahrhundert aufgemacht worden und zog die Reichen und Wichtigen - und vor allem die, die sich dafür hielten - an wie ein Kuhfladen die Schmeißfliegen. Die Typen wirkten auf Lena auch ungefähr so anziehend wie die Hinterlassenschaft eines gehörnten Wiederkäuers. Normalerweise mied sie Plätze wie diesen wie die Pest, und das nicht nur, weil sie sich nicht den Hauch einer Chance ausrechnete, eingelassen zu werden.

    Sie verabscheute einfach alles, was solche Orte symbolisierten. All der Glanz und die falsche Pracht, die laute Musik und die überteuerten Getränke (die aus dem einzigen Grund so teuer waren, weil sie eben so teuer waren), all die aufgedonnerten Tussis in ihren Designerkleidern und ihre Begleiter in ihren Armani-Anzügen und den 1000-Euro-Schuhen … Es widerte sie an.
    Lena war sich selbst gegenüber ehrlich genug, um zuzugeben, dass in diesem Gefühl auch eine gehörige Portion Neid mitschwang, aber das war es nicht allein.
    Sie war einfach zornig auf all diese … Leute, die nicht begriffen, was für ein unglaubliches Glück sie hatten, ein Leben wie dieses zu führen und es mit nichts anderem zu verschwenden, als von einer Party zur nächsten zu eilen und sich selbst wichtig vorzukommen. Manchmal wünschte sie sich, dass diese Typen nur einen einzigen Tag lang ein Leben wie das ihre und das ihrer Mutter führen mussten. Wenn es doch in so vielen Hollywoodfilmen und Büchern funktionierte, warum konnte sie dann nicht auch in Wirklichkeit wenigstens für einen Tag mit ihnen tauschen?
    Heute Abend reichte es ihr allerdings voll und ganz, wenn einer von ihnen seine fette Brieftasche mit ihr tauschte. Vorzugsweise eine gut mit Bargeld gefüllte Brieftasche.
    Das war noch etwas, was sie an dieser neuen Generation der Reichen und Schönen hasste: ihre Unsitte, kaum noch mit gutem altmodischem Bargeld zu bezahlen, sondern fast nur noch mit Plastik. Kannten sie denn gar kein Mitleid mit einer ehrlichen Taschendiebin wie ihr?
    Wenigstens ihren Galgenhumor hatte sie sich noch erhalten.
    Als die Schlange vor dem Eingang ein Stück weiter vorrückte, passte Lena kurz nicht auf und trat prompt in eine Pfütze, die irgendwie die physikalischen Grundgesetze außer Kraft gesetzt haben musste, denn das Wasser war eindeutig kälter als
der absolute Nullpunkt. Sie fuhr wie elektrisiert zusammen und machte einen Schritt zur Seite, wobei sie dem Blick einer dunkelhaarigen Partygängerin begegnete, in dem sich Mitgefühl, Schadenfreude, Überraschung und dann pure Verachtung abwechselten, und zwar in genau der Reihenfolge, in der ihr Blick von Lenas nackten Füßen aus an ihrer Gestalt nach oben wanderte. Was sucht die denn hier ? Sie sprach die Frage nicht aus, aber Lena hörte sie trotzdem.
    Sie hätte sie sogar beantworten können. Deine Geldbörse, Süße. Oder besser noch die deines Begleiters.
    Sie wich dem Blick gerade schnell genug aus, damit es nicht allzu schuldbewusst wirkte, trat vorsichtshalber einen weiteren halben Schritt zur Seite und sah sich gleichzeitig mit genau jener stoischen Ungeduld um, die sich jeder zwangsläufig zu eigen machte, der es gewohnt war, langsam in der Schlange vor einem Szenelokal vorzurücken und darauf zu hoffen, dass die Türsteher ihn passieren ließen.
    Lena hoffte das nicht. Sie hatte keine Chance, die Gesichtskontrolle am Eingang zu passieren. Nicht in einem gestohlenen Sommerkleid vom Wühltisch, mit nackten Füßen und mit ihrer strubbeligen Unfrisur, durch deren mattes Blond schon wieder das satte Schwarz ihrer eigentlichen Haarfarbe durchzuschlagen begann.
    Sie hätte auch gar nicht hineingewollt. Ganz davon abgesehen, dass ihr Läden wie dieser einfach zuwider waren, war es dort drinnen laut und eng und wimmelte wahrscheinlich nicht nur von Gästen, sondern auch von Rausschmeißern und Aufpassern und vermutlich auch versteckten Überwachungskameras.
    Hier draußen war sie eindeutig besser aufgehoben. Sie sah auf Anhieb mindestens

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