Wir sind Gefangene
möchte. Du mußt es ihm sagen. Ich will ganz einfach kein Bäcker werden! Ich mag einfach nicht! Jeder hat was lernen dürfen: Der Eugen ist auf die Handelsschule geschickt worden, der Maurus ist nach Karlsruhe gekommen und ist jetzt Konditor, der Lenz, den hat er einfach hinausgeworfen, und mich will er eines Tages auch loshaben«, jammerte ich. Jeden Tag die selbe Sache, zäh und verbissen. Meine Mutter wurde ganz mürbe davon. Sie machte ein immer trübseligeres Gesicht und blickte mich hilflos an. »Hm ... ich weiß nicht! Tierarzt... Das ist doch nichts!...Als Bäcker hast' immer Verdienst... Das Fresserts (Nahrungsmittel) geht immer«, wollte sie auf mich einreden, aber es half nichts. Bockstarr war ich. Pfarrkirchen begann am 15. September. Es war August. Ich drängte immer mehr, und Tag auf Tag verlief ergebnislos. »Der haut dich bloß recht durch, dann hast' es«, sagte meine Mutter in bezug auf Max.
»Und wenn er mich erschlägt, ich mag einfach nimmer anders«, antwortete ich starr. Indessen, es geschah nichts. Mir kam ein Gedanke. Ich schrieb an Eugen. Dem konnte der Gewaltige nichts tun. Es konnte auch keine Rauferei und kein aufregender Skandal werden, denn Eugen war in Augsburg beim Militär.
Ich schrieb: »Lieber Eugen! Weil mich keiner daheim hören will, und weil ich glaube, daß ich ein Talent habe, wenn ich studieren darf, so komme ich heute zu Dir mit der Bitte, die nur Du möglich machen kannst. Ich gehe sonst daheim unter, wenn Du mir nicht hilfst. Ich möchte nämlich am 15. September nach Pfarrkirchen in die Landwirtschaftliche Hochschule und dann nach München in die Tierarzt-Universität, weil ich Tierarzt werden will. Aber dem Max kann ich nichts sagen, das weißt Du ja. Der schlagt mich bloß recht, der Grobian. Aber ich muß Tierarzt werden, sonst gehe ich unter. Also hilf mir. Schreibe nur dem Max einen anständig gesalzenen Brief. Dich fürchtet er ja doch, aber mich schlagt er bloß. Aber sag' in Deinem Brief an Max nichts, daß ich Dir geschrieben habe, sonst krieg' ich wieder Schläge. Ich schicke Dir schon was zu essen, wenn Du mir hilfst. Es grüßt Dich Dein Dich liebender Bruder Oskar.« Etliche Wochen später – es war schon der 8. September - kam ich vom Brotaustragen heim und fragte die Mutter leise und unauffällig am Herd: »Hast du was gesehen? Hat denn der Eugen noch nicht geschrieben?« Mutter sagte laut, daß ich sie beschwichtigen mußte: »Wenn bloß ein einzig's Mal Ruhe war'! . . . Bleib' doch ein Bäcker, da verdienst du doch dein Geld viel besser.« Das hatte Max gehört. Er saß um diese Zeit gewöhnlich in der nebenanliegenden Stube am Schreibtisch, und die Türe war offen.
»Was ist da?« fragte er barsch herein. »Der Oskar möcht' Tierarzt werden, und das geht jetzt an, sagt er«, antwortete meine Mutter klagevoll. Ich bebte am ganzen Körper. Eine furchtbare Spannung hatte mich erfaßt. Mein Herz klopfte laut. Wartend stand ich da, denn jetzt mußte sich etwas abspielen, das entscheidend für mein ganzes Leben war. Dazwischen malte ich mir flüchtig die Zeit in Pfarrkirchen aus, ganz deutlich, fast als ob ich mich schon dort befände, alle Tage in Sonntagskleidern von meinem Logis in die Schule ging.
Da stand auf einmal Max im Türrahmen und sagte: »Was willst du?« machte eine drohende Geste mit dem Gesicht und schrie: »Blöder Kerl, blöder, paß' mal auf!...Was hast denn davon? Der Schatzlpeter studiert heuer schon das achte Jahr umeinander und ist heut' noch nichts!...Ich werd' dir die Sachen gleich austreiben!« Und damit war alles fertig. Ich war im letzten Grunde ja froh, daß diese Anfrage so leicht verlaufen war, ohne Prügel und Krach. Aber die Wut gegen Max packte mich zuinnerst, und ich schwor bitterste Rache. Ich arbeitete nach wie vor wieder nachts in der Bäckerstube, schuftete am Tag und gab ganz langsam meine Tierarztinteressen auf. Sonderbar, jedes Mal nach einer solchen überstandenen Hochspannung ließ meine Energie önvermerkt nach und verflachte. Ein neues Suchen begann. Die Erfindungen lagen unterm Dachboden und verstaubten, die Tierarztbücher verloren den Reiz und vermoderten unterm Blechdach. -
II
EREIGNISSE
Die Zeit verfloß. Winter überschüttete die Dächer der Dorfhäuser mit Schnee. Weihnachten kam näher. Ungeheuer viel Arbeit gab es. Den ganzen Tag mußte ich neben Max Mürbteig ausrollen und die Teigflächen ausstechen, auf die geschmierten Bleche richten und herausbacken. Ganze Körbe voll Zimtsterne,
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