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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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allein in der Tenne standen, fanden uns im Gespräch ineinander und erzählten uns gegenseitig mit einem Anflug von fühlbarer Wärme in den Worten Erlebnisse. Wir sahen uns in die Augen und schlugen sie nieder, ohne zu wissen warum. Und einmal wieder - ich weiß nicht wie -fiel ich vollkommen willenlos an Lenis Brust und umschlang sie, stöhnte unablässig: »Leni! Leni!« Und küßte sie heiß. Sie stemmte sich erschrocken und tiefernst dagegen, war aber nicht böse. Ich sah ihr rotes Gesicht, ihre Brust ging auf und nieder. Ich wollte mich am liebsten ganz in ihr verbergen, sie indessen drückte mich zurück und sagte: »Oskar? Aber Oskar?! ... Was ist's denn? ... Was hast' denn?« Ich ließ sie los, riß mich hastig zusammen, stand beschämt und verwirrt da und atmete tief. Sie strich mir leicht über die Stirn und sagte ruhig wie eine Mutter: »Das geht doch nicht.« Ich wußte im Augenblick nicht, was ich tun sollte und sprang auf einmal hastig an den Häckselmaschinenhebel, drehte mit noch viel größerer Schnelligkeit das Schwungrad im Kreise. Als wir fertig waren, lief ich, ohne Leni noch einmal anzusehen, eilig in die Backstube hinunter. Mittags, als wir uns am Tische gegenübersaßen, schlugen wir wieder die Augen nieder, und hernach schlich ich schleunigst hinaus. Es ereignete sich nichts mehr zwischen uns. Wir blieben gute Freunde bis zuletzt, und wenn Leni auch dreißig Jahre alt war und ein fleißiges, nüchternes, sehr frommes Wesen an sich hatte, so wußte sie doch stets um alle meine Streiche und half mir oft über die Gefahren, die mich durch Max bedrohten. Oft, nachdem ich zu Bett gehen durfte, schaute ich noch stundenlang heimlich zum Fenster hinunter, weil Leni drunten wusch. Das war meine ganze Liebe.

III
DIE FLUCHT

    Maurus war fort. Er hatte seine Bücher hinterlassen. Ich las mich tiefer in sie hinein. Er schrieb um sie, und nun war mir auch diese Herrlichkeit genommen. Auch Anna oder, wie man sie hieß, »Nanndl« las alles, was ich ihr gab. Es wuchs ein Drang nach jenen Welten in uns auf. Was tun?
    In der Zeitung lag ein Verlagsprospekt von Bongs Klassikerausgaben. Die Bücher waren darauf abgebildet und sahen sehr bedeutend aus. Wir überlegten. Etliche Brotgänge reiften den Entschluß. Wir scharrten Geld zusammen, Nanndl ihre Trinkgelder und ich meine Wochenlöhne. Dann bestellten wir wieder an die Adresse unseres Schusters Schillers Werke, dann Lessing, Petöfi, Mörike, Lenau und Grabbe.
    Alle diese Ausgaben waren rot gebunden und hatten goldene Rücken. Das zog uns an. Da wir aber befürchteten, daß Max unser Geheimnis entdecken könnte, ließen wir die Bücher vorläufig beim Schustermeister. Dort jedoch verschmierten sie die kleinen Kinder. Wir sannen auf eine Änderung und waren todunglücklich darüber. Ich dachte an Leni. Aber Nanndl, die von all dem, was zwischen uns beiden vorgefallen, wie alle sonstigen Hausangehörigen, nichts wußte, war dagegen. Meine Erfinderader regte sich. Wie, wenn wir meinen Schrank, der in der Gesellenkammer stand, so konstruierten, daß nur wir hineinkönnten?
    Das war eine Idee, die mir keine Ruhe mehr ließ. Sie mußte durchgeführt werden. Es handelte sich bloß darum, die Arbeit zu machen, wenn niemand sie bemerkte. Am Sonntagnachmittag war der Geselle meistens weg. Auch Max mußte die verschiedenen Gastwirtschaftskunden aufsuchen und dort Zechen machen. Mutter saß meistens im Gartenhaus und strickte, nickte aber bald ein, und Leni ging zur Andacht.
    Wir machten uns ans Konstruieren. Die Schranktüre wurde genau abgezeichnet, das Fachbrett zugeschnitten und in der Mitte auseinandergespalten, so daß zwischen Tür und Brett ein ziemlich breiter hohler Raum frei wurde, fast die Hälfte also. Nun zimmerten wir mit aller Kunstfertigkeit eine neue Türe für das Innere des Kastens, versahen sie mit einem Schloß und brachten sie an. Darauf fertigten wir ein Scheinfachbrett an, genau nach dem Muster des eigentlichen, nagelten es an die Scheintüre, so daß also beim öffnen der ursprünglichen Schranktüre das Innere scheinbar unverändert war, obwohl dahinter ein geheimer Raum lag. In den vorderen Scheinraum wurde nun alles wieder so hineingerichtet, wie es vordem gewesen war, im hinteren brachten wir - schön aneinandergereiht - unsere Bücher unter. Unverändert stand der geheimnisvolle Schrank da. Der Schlüssel steckte wie immer, man konnte öffnen und gewahrte nichts weiter als die uninteressanten Kleider, die Kragen auf dem Fachbrett,

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