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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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schlitzt ihm die Ader auf und trinkt das Blut, das nach ewiger Rache schreit. Dann geht er zu den Sioux und zieht gegen die Weißen . . .« Wir waren zu dritt: Martin, ein Schulfreund von mir, Anna, meine Schwester, und ich. Vor dem Dorf, tief im Kornfeld, trafen wir uns eines Tages. Ich entwarf den Racheplan, die beiden anderen knieten nieder, erhoben feierlich den Arm und sagten: »Ich schwöre!« Wir hatten ausgemacht, daß demjenigen, der etwas verrate, das Schlimmste geschehen müsse. Dann kamen die Wirkungen. Der Müller hatte seinen eisernen Pflug mitten im Acker stehen gelassen. Er wurde auseinandergeschraubt, und die Teile wurden in alle Windrichtungen geworfen. Der Wirt am See baute auf der sogenannten Etztalhöhe ein Almhäuschen aus Holz. Wir schufteten vier Sonntage - immer wieder gestört von harmlosen Spaziergängern - bis wir es vom Erdboden losbrachren, dann flog es krachend den Hügelrücken hinunter. Das war direkt gigantisch: die im Wege stehenden Bäume brachen ab, das Geröll sauste nieder, und der hölzerne Koloß wälzte sich drohend weiter. Drunten liefen die Leute zusammen wie bei einem Brand und konnten nichts tun. Einen furchtbaren Krach tat es, und das ganze Haus zerschellte. Wir waren längst weg und spielten ganz harmlos daheim in unserem Hof mit leeren Kisten Hausbauen.
    Der Bürgermeister ließ seine Füllen auf die Weide. Wir leiteten Wasser aus dem nahen Bach in die Wiesenfläche, machten in der Mitte Feuer und hetzten die Tiere, bis sie dampften, immer über Feuer und Wasser. Dann machten wir die Weidenstangen weg, und die Füllen rannten verwirrt davon. Erst spät in der Nacht fand man sie schlotternd und furchtsam auf einem engen Felsweg im Schloßpark.
    Wir stahlen von den gedeckten Gartentischen der Wirtschaft die Tischtücher und verbrannten sie, wir ruinierten die schönsten Buchen- und Eichenbäume, daß sie abdorrten. Es hieß wohl immer: »Das sind die Bäckerbazin!« Doch wenn die Leute wirklich einmal zur Mutter was sagten, meinte diese: »Geh! So was gibt's doch gar nicht! Geh, wie werden denn so kleine Kinder das machen können!« Max erfuhr merkwürdigerweise wenig oder gar nichts.
    Es mußte was geschehen! Die Rache war viel zu klein. Sie tat nach unserem Dafürhalten niemandem weh. Abermals wurden Teschings bestellt. Die Jagd ging von vorne an, nur daß wir dieses Mal alles Erschossene einfach liegen ließen. Ein Geselle hatte drei Tage Gefängnis bekommen wegen der Geschichte mit Lenz. Er wollte flkhts mehr wissen von solchen Dingen und drohte mir ttachts stets mit Prügeln. Was blieb anderes übrig, als alles geheimzuhalten. Wir erneuerten, nachdem wir allmählich überall die uns umlauernden Gefahren witterten, jeden Sonntag unseren Schwur. Das Zeremoniell wurde mit der Zeit ein wenig romantischer. Ich war der Häuptling, und nachdem meine Schwester und der Marti geschworen hatten, aßen wir zusammen eine Stange »Andreas-Hofer-Feigenkaffee«, den wir aus dem Laden gestohlen hatten. Der schmeckte furchtbar bitter, wir bekamen Magengrimmen davon, aber gerade weil das Zeug so schlecht war, galt es für uns als eine Art Verschwörermahl. Wir hießen den Feigenkaffee aus einem unerklärlichen Grunde »Claro«, weil das fremdländisch und indianisch klang und im-rner auf den Zigarrenschachteln in unserem Laden stand. Trafen wir uns werktags manchmal und wußte einer halbwegs von einer drohenden Gefahr, so raunten wir uns zu: »Wir müssen wieder Claro essen!« Der also Angesprochene verstand und fragte nicht weiter. — Wir mußten schwer arbeiten. Ich wurde abends (im Winter um 11 Uhr, im Sommer um 9 Uhr) vom Gesellen geweckt. Die ganze Nacht ging es. Um 6 Uhr früh zählte mir Mutter das Brot in den Korb, legte Wecken obenauf, füllte den Rucksack für Anna, die bereits schläfrig gähnend in der Küche wartete. Und hinaus ging es in die frische Morgenluft bis zwölf Uhr mittags. Anna machte auch noch den ganzen Nachmittag Gänge. Ich mußte in der Konditorei mithelfen. Schneeschlagen neben Max, Sandtorte einrühren, Mürbeteig kneten. Um fünf Uhr abends konnte ich schlafen gehen. Das war der normale Taglauf. Oster-, Pfingst- und Weihnachtszeit wurde es oft viel später. Nebenbei galt es Holz zu spalten oder Häcksel zu schneiden. Und immer dieses peitschende, drohende: »Los, los! Los! Marsch, marsch!« Dafür gab mir Mutter im Sommer wöchentlich fünf Mark und im Winter jeden Sonntag drei. Weihnachten und zu meinem Geburtstag bekam ich etwas auf die Sparkasse,

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