Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
hochbegabte, aber hochvergessliche Schlüsselkinder und ein »Sorglos-geschieden«-Service. Kein Dienstleistungssektor ward ihr fremd. »Was ist Ihr Begehr?«, fragte sie beherzt ihre Besucher. »Wir machen alles möglich.« Die hab ich, dachte sie für sich, die sollen mir nicht wieder entwischen. Das wird ein guter Bissen werden. Aber sie meinte das natürlich nicht wörtlich. Und auch nicht böse. Nur rein umsatzorientiert.
Sie selbst kannte bald keine Freizeit mehr und keinen bezahlten Urlaub. Keine Arbeitslosenversicherung und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Denn anfangs musste sie allein alle Arbeit tun. Das Telefon klingelte tausendmal am Tage, und des Nachts beantwortete sie einhändig ungefähr eine Million E-Mails, während sie mit der anderen Hand ihr zahnendes Baby wiegte. Weil sie aber leicht und behände war und Schlafentzug gewöhnt, fühlte sie keine Müdigkeit. Und schon ehe das erste Jahr um war, reichte das Geld für ein bronzenes Türschild und eine Visitenkarte. Nach dem zweiten Jahr konnte sie sich die ersten 400-Euro-Jobber leisten. Und nach dem dritten Jahr hatten alle Sorgen ein Ende. Die Agentur lief so gut, dass die Sonne selbst sich verwunderte, sooft sie ihr und ihren Mitarbeiterinnen ins Gesicht schien.
Da band sie sich eines Tages einen strassbesetzten Gürtel um den Leib und schminkte sich die Lippen in kämpferischem Rot. »Wohin des Wegs, liebe Frau?«, fragten ihre Angestellten.
»Ach«, sagte die Chefin, »es ist doch zu übel, hier immer in dem alten Pott zu wohnen, der stinkt und ist so eklig. Auch ist die Werkstätte zu klein für uns und unsere Tapferkeit geworden. Wir müssen das Ding jetzt mal ein bisschen globaler aufziehen. Ihr wisst schon: Consulting in Sachen Gender Mainstreaming, Jobsharingmodellentwicklung fürs Spitzenmanagement, Personalführung, Headhunting und so weiter. Deshalb werde ich jetzt erst mal losgehen und uns Downtown eine angemessenere Bleibe suchen.«
Und tatsächlich fand sie ein hoch gelegenes Büroloft mit repräsentativem Dachgarten, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand. Aus den bodentiefen Fenstern des Lofts konnte man außerdem das herrliche Land mit all seinen Flüssen, Hügeln und Hochhäusern vor sich liegen sehen. Da wackelte ihr Herz vor Freude wie Lämmerschwänze und sie sprach: »Ich bin lüstern und empfinde das größte Verlangen, mich hier einzumieten.« Auf dem Rückweg kam sie dann auch noch zufällig an dem gläsernen Schlosse vorbei, wo man sie damals so schimpflich behandelt und ihr jede monetäre Hilfe versagt hatte. Da ging sie hoch erhobenen Hauptes hinein und verlangte, unverzüglich die Herren Schatzmeister zu sehen. Sie habe mit denen noch ein Hühnchen zu rupfen. Und wie sie stolz mit ihren Absätzen die Gänge entlangklackerte, da raunten die Empfangsdamen hinter ihr her: »Seht her, das ist eine Frau, welche die alteingesessenen Beraterbonzen das Fürchten lehrt. Sie residiert ja jetzt, so hat man es jedenfalls läuten hören, hier gegenüber in dem stählernen Neubau. Da, wo die schönen Ranunkeln auf dem Dach wachsen. Wir könnten an ihren Firmengewinnen prozentual beteiligt sein, wenn es damals nicht zu einer derart kurzsichtigen Fehlentscheidung bei der Kreditvergabe gekommen wäre.«
Als die Schatzmeister das hörten, schrien sie voller Wut und stampften mit ihren Füßen vor Zorn so fest auf die Erde, dass sie sich an dem Parkettfußboden die Knöchel verstauchten.
»Ja«, sprach die Kupplerin. »Sie tun recht daran, sich gründlich schwarzzuärgern. Ich an Ihrer Stelle packte jetzt meinen linken Fuß mit beiden Händen und riss mich selbst mitten entzwei.«
So gingen die Jahre ins Land und ihre Geschäftstüchtigkeit kannte keine Grenzen. Immer wieder sandte sie ihre Spione, bestens getarnt als träge, schwangere Muttimonster, in große Firmen und auf kleine Spielplätze aus. Sie hatten den Auftrag, der weiblichen Hälfte des Volkes aufs Maul zu schauen und auszukundschaften, wo und wie sie sich einerseits gerne in den Arbeitsmarkt einbringen würde und für welche Serviceangebote sie andererseits bereit wäre, Geld auszugeben. Dabei entdeckte sie bald diverse desaströse Zustände, die dem Land jährlich nicht weniger als einen Nettoverlust von 615 Milliarden Euro bescherten: die tägliche systematische Lebens- und Arbeitszeitverschwendung von Müttern und anderen Menschen. Im Wartezimmer des Kinderarztes, auf den Fluren der städtischen Kindergartenplatz-Genehmigungsstelle, an
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