V wie Verrat
Kapitel 1.
»Jahaa. Hereinspaziert.«
Die Tür wurde aufgerissen und ein mittlerer Tornado raste auf mich zu, erfasste mich, wirbelte mich mehrmals um meine eigene Achse und plumpste mit mir zusammen aufs Bett.
»Himmel noch mal Lin. Jetzt ist mir schwindlig.«
Sie strahlte mich an und gab mir einen feuchten Schmatz auf die Wange.
»Mir doch auch. Und wie. Aber das ist sooo schön.«
Lachend setzte ich mich auf und zog sie mit mir nach oben.
»Ich ahne ja was. Spuck's schon aus, damit ich mich mit dir freuen kann Imouto. «
Ihr Grinsen wurde noch breiter. Sie stand auf, legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich.
»Domo arrigato, meine liebste große Schwester.«
Lin brachte mir neuerdings japanisch bei und es war höllisch schwer. Dass »domo arrigato« herzlichen Dank und »Imouto« kleine Schwester bedeutete, war das Einzige, was nach der letzten Lektion bei mir hängen geblieben war. Aber ich gab nicht auf, auch wenn ich ihre Geduld manchmal sehr strapazierte.
»Jetzt spann mich nicht so auf die Folter, ich will ALLES wissen«, drängte ich sie.
»Wo ist er?«
Ihre schwarzen Mandelaugen glänzten.
»Er liegt in meinem Zimmer und schläft.«
»Lin!!! Das ist nicht dein Ernst. Bringst du ihn mit zum Essen?«
»Wenn Viktor nicht immer so streng wäre.«
Ich legte schnell den Finger auf die Lippen. Zu spät. Lin konnte dem Waschlappen nicht mehr ausweichen, er traf sie mitten ins Gesicht. Viktor streckte den Kopf aus dem Badezimmer und zog die Augenbrauen hoch.
»Bei so einem kleinen Wildfang wie dir muss man streng sein. Sonst machst du nur Unsinn.«
Lin schleuderte den feuchten Klumpen zurück, allerdings weit weniger treffsicher als er.
»Du bist aber nicht mein Vater. Noch nicht mal der ist so gemein wie du.«
Sie wandte sich wieder mir zu: »Wir sehen uns später, vielleicht ja alle.«
Zwinkerte, küsste mich noch einmal und rauschte hinaus, ohne Vik eines weiteren Blickes zu würdigen. Er schüttelte den Kopf und ging vor sich hinbrummelnd wieder ins Bad. Ich folgte ihm, blieb im Türrahmen stehen und betrachtete ihn. Auch nach den vielen Monaten, die ich nun schon hier wohnte, jagte sein Anblick meinen Puls in die Höhe. Er trug nur eine leichte Baumwollhose, die seinen Hintern mehr betonte als verhüllte. Ich konnte nicht widerstehen, schmiegte mich von hinten an seinen nackten Oberkörper und schlang meine Arme um seinen Bauch.
Ob ich mich an diese Perfe ktion jemals gewöhnen werde?
Er wischte sich die Reste des Rasierschaums aus dem Gesicht und drehte sich in meiner Umarmung um. Seine Veilchenaugen lächelten mich an.
»Guten Abend mein Engel. Hast du gut geschlafen?«
Eine rein rhetorische Frage. Er ließ mir keine Zeit zum Antworten, sondern küsste mich. Nicht, dass ich unbedingt hätte antworten müssen. Unsere mentale Verbindung war mittlerweile so stark, dass er genau wusste, ob ich gut oder schlecht geschlafen hatte. Zudem war mir im Moment viel mehr nach Küssen als nach Reden. Er packte mich um die Taille und setzte mich auf die kleine Kommode gegenüber dem Waschbecken. Seine Lippen wanderten meinen Hals entlang nach unten. Ich legte seufzend den Kopf in den Nacken und vergrub meine Finger in seinem feuchten Haar. Konnte eine Nacht besser beginnen?
Er war gerade dabei, die Knöpfe meiner Bluse zu öffnen, als es schon wieder klopfte.
»Verdammt! Hat man in diesem Haus niemals seine Ruhe«, fluchte er. Richtete sich auf und knurrte: »Bleib da sitzen und beweg dich nicht. Ich bin sofort wieder da.«
Schon leicht außer Atem sah ich ihm nach, wie er ins Zimmer zurückging. Als ich Darius Stimme hörte, wusste ich sofort, dass es ernst und wichtig sein musste. Er klang aufgeregt, fast hektisch und wenn Darius etwas von Natur aus nicht war, dann das. Der riesige Weißrusse, der Viktor als guter Geist schon viele Jahre zur Seite stand, strahlte normalerweise eine wohltuende Ruhe und Sicherheit aus. Ich knöpfte meine Bluse wieder zu und wollte gerade von der Kommode klettern, als Vik wieder zurückkam.
»Tut mir leid Engel, aber das kann wohl nicht warten. Sie haben eine Spur von Pierre gefunden.«
Die Zärtlichkeit und Leidenschaft in seinem Blick waren einer grimmigen Entschlossenheit gewichen. Schon wieder Pierre! Ich seufzte laut und rollte mit den Augen.
»Anna. Bitte! Keine Diskussionen.«
Er setzte seinen Hab-mich-doch-wieder-lieb-Dackelblick auf, dem ich schon von Anfang an und jedes Mal aufs Neue hoffnungslos ausgeliefert war. Ich schlang die Arme um
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