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Wir sind nur Menschen

Wir sind nur Menschen

Titel: Wir sind nur Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bereuen …
    Um elf Uhr war Visite, und um siebzehn Uhr noch einmal. Als die Uhr auf die Zahl 5 vorrückte, rief Dr. Bender ihre Assistenzärzte, ihre Famuli und Schwestern zusammen. Sie hatte sich ein wenig zurechtgemacht, hatte Rouge aufgetragen und auch die Lippen dezent geschminkt. Sie überblickte die Schar der jungen Ärzte und Schwestern, die auf dem Flur stand, und nickte entschlossen.
    »Gehen wir«, sagte sie mit fester Stimme. »Man hat uns einen Fall in die Chirurgische verlegt. Ungerechtfertigt weggenommen! Es kann uns daher kein Mensch verübeln, wenn wir bei diesem Fall, dem jungen Horst von Barthey, auch unsere Visite machen. Gehen wir …«, wiederholte sie.
    Sie gingen über den kurzen Rasen, über den Kiesweg, und betraten die Station Dr. Sachers – zwölf Schwestern und Ärzte, an der Spitze Dr. Angela Bender mit entschlossenem Gesicht und blitzenden, kampfeslustigen Katzenaugen.
    Erstaunt und verblüfft kam Dr. Paul Sacher durch den langen Gang gestürmt und überblickte ein wenig ratlos die große Schar der weißen Hauben und Mäntel.
    »Willkommen, Frau Kollegin!« rief er geistesgegenwärtig. »Ein Staatsbesuch?« Er lachte ein wenig gequält und wünschte sich, Peter Perthes an seiner Seite zu haben.
    »Eine Visite, Herr Kollege, zur gewohnten Stunde! Sie haben einen Fall von mir hier liegen, und ich muß ihn mir ja ansehen!«
    »Aber natürlich, natürlich …« Paul Sacher stotterte verlegen und gab den Weg frei. »Zimmer vierunddreißig, Kollegin Bender.«
    Er hat recht behalten, dachte er. Dieser Peter kennt sie schon besser als ich! Sie kommt tatsächlich hierher! Sie nimmt den Kampf auf. Zwei Dickköpfe prallen aufeinander. Himmel, wie soll das enden?
    Er sah Angela Bender nach, wie sie mit ihrer Heerschar im Zimmer 34 verschwand. Dann eilte er zum Telefon, um Professor Window anzurufen.
    »Chef«, sagte er erregt, »Angela Bender ist tatsächlich hier! Sie macht die Visite! Ja, mit ihrer ganzen Belegschaft!«
    Als er Professor Window lachen hörte, legte er wütend auf und setzte sich auf die Fensterbank.
    Von diesem Tag an begann für Paul Sacher eine Woche der Qualen. Angela Bender erschien mit ihrer Heerschar zwei, drei-, auch viermal am Tag zu einer Extravisite, rauschte durch die stillen Gänge und störte den ganzen Betrieb des so vorzüglich eingespielten Apparates der Chirurgie. Immer, wenn gerade die Gänge geputzt waren, wenn das Linoleum frisch gebohnert war, erschienen die zwölf Menschen von der Kinderstation und brachten Unruhe in das stille Haus.
    Paul Sacher war an der Grenze angelangt, wo man die Nerven verliert und sich nicht mehr beherrschen kann.
    »Kollegin Bender«, sagte er eines Morgens, als sie wieder mit ihrer Schar zur Visite erschien, »übertreiben Sie nicht ein wenig die Sorge um diesen Jungen? Glauben Sie, wir könnten ihn nicht ordnungsgemäß versorgen?«
    Angela Bender zuckte mit den Schultern und sah den Chirurgen mit zur Seite geneigtem Kopf an. In ihren Augen stand Angriff. Wie ein Schock durchfuhr es Dr. Sacher: sie sah wunderschön aus in ihrem Zorn.
    »Der Junge ist schließlich mein Patient. Man hat ihn mir aus unbekannten Gründen weggenommen, aber ich fühle mich nach wie vor für ihn verantwortlich. Ich habe das Recht, meine Patienten zu mir angemessen erscheinenden Zeiten zu besuchen! Und wenn es zehnmal am Tag ist! Die Notwendigkeit muß ich als Ärztin und Chefin der Kinderklinik allein verantworten.«
    »Sie halten aber meinen Betrieb auf, Frau Kollegin!« Dr. Sacher wurde wütend. »Sie benutzen meinen Verbandsraum, wenn ich ihn dringend benötige; dann kommen Sie zu den unmöglichsten Tages- und Nachtzeiten …«
    Angela Bender nickte. Ein Lächeln überzog ihr vor Erregung gerötetes Gesicht. »Es bedarf nur der Rückverlegung auf meine Station, und Sie sind von uns erlöst, lieber Herr Kollege Sacher. Dann haben Sie gleich Ihre Ruhe wieder. Aber so …« Sie zuckte erneut mit den Schultern, ein wenig maliziös, wie Dr. Sacher feststellte, und wandte sich an ihren Stab. »Kommen Sie, wir müssen weiter!«
    Und die Visite rollte ab …
    An diesem Tag traf Angela Bender auch Dr. Perthes, der im Krankenzimmer des Jungen darauf wartete, daß die Visite von der Kinderstation erschien. Als Dr. Bender hereinkam, erhob er sich sofort und verbeugte sich korrekt.
    »Guten Tag, Frau Dr. Bender«, sagte er. »Es ist ja rührend, wie Sie sich um den kleinen Horst kümmern.«
    Und um ihre Antwort, die sofort kommen mußte, abzuschneiden, fügte er

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