Wir sind nur Menschen
jungen Arztes und kam auf ihn zu. Sie war eine sehr schöne, hochgewachsene Frau Mitte der Dreißig, mit einem schmalen, nordischen Gesicht und sehr hellen Augen. Sie waren jetzt voller Tränen. Helene von Bartheys schmale Lippen bewegten sich, sie wollte etwas sagen – aber dann schwieg sie, vielleicht aus Angst, daß sie schluchzen müsse. Stumm drückte sie Peter Perthes die Hand und nickte ihm zu. Sie wissen, was ich sagen will, sollte das wohl heißen.
Und Dr. Perthes wußte es. Er beugte sich über die blasse Hand und küßte sie. Dann ging er zu Dr. Bender, die ihn kaum ansah. Sie trug ein enges, sehr helles Seidenkleid und hatte ihre schwarzen Locken im Nacken zu einem Lockenwirbel mit einem hellroten Samtband zusammengehalten. Ihr Profil wirkte wie ein altitalienisches Gemälde, zart, zerbrechlich, hoheitsvoll, stolz und unnahbar.
Sie nickte Peter ebenfalls zu, gab ihm lässig die Hand und zog sie rasch zurück, als er sie küssen wollte. Sie beschäftigte sich intensiv mit einer Schale voll Konfekt, die auf der dicken Tischplatte stand.
Ein Mädchen erschien und brachte dem Hausherrn eine Karaffe mit bestem französischem Cognac. Der Bankier schenkte ein und ließ Dr. Perthes hochleben. Dann saß man in den tiefen Sesseln und versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
»Reden wir heute abend nicht von Horst und dem Unfall«, meinte Wolf von Barthey mit einem Blick auf seine Frau, die – bleichen Angesichts – dafür sorgte, daß es ihren Gästen an nichts mangelte. »Erzählen Sie aus Ihrem Leben, lieber Doktor!«
»Das ist uninteressant«, erwiderte Peter Perthes und blickte zur Seite auf Angela Bender. »Es ist außerdem langweilig und eintönig. Die Tretmühle der täglichen Pflichten ist der Motor aller meiner Handlungen, leider. Ein Privatleben kenne ich kaum.« Er machte eine Pause und wiederholte dann: »Leider!«
»Aber, aber!« Wolf von Barthey lachte laut und goß die Cognacschwenker noch einmal voll. »Sie haben doch die ganze Welt gesehen!«
»Die Welt? Nein! Ich habe in der Welt nur die Gifte gesehen! Ich habe Kobras auf Celebes gefangen, Klapperschlangen am Fuße des Kilimandscharo, Brillenschlangen am Kongo, Korallenottern auf Tahiti, nochmals Klapperschlangen in Abessinien und Baumschlangen am Gran Chaco!«
»Und Sie wurden nie gebissen?« Helene von Barthey beugte sich vor. »Der Biß einer dieser Giftschlangen ist doch absolut tödlich?«
»Um der Menschheit diese Furcht zu nehmen, stelle ich ja meine Forschungen an! Ich bin auf der Jagt nach neuen Sera gegen alle Gifte, die die Natur für den Menschen bereithält. Ich habe mich vor zwei Jahren dreimal von einer Kreuzotter beißen lassen, um ein von mir entwickeltes Serum nachzuweisen. Wie Sie sehen – mit Erfolg, denn ich lebe. Aber wir haben in der Serumforschung und gerade in der tropischen Toxikologie nur ein kleines Teilgebiet lichten und erobern können. Noch gibt es Hunderte von Giften, die wir nicht kennen und also auch nicht bekämpfen können. Denken Sie zum Beispiel an Curare, das Lähmungspfeilgift der südamerikanischen Indianer. Wir haben dagegen noch kein Mittel. Die Indianer am oberen Maranon, einem Quellfluß des Amazonenstroms, die Tikuna-Indianer, haben ein Gift, das wir Ticunas nennen. Es wirkt augenblicklich tödlich. Gegenmittel – keines! In Ostindien kennt man das sogenannte Fürstengift, das Upas Radja. Es erzeugt augenblicklich Starrkrampf. Und als Gegenmittel haben wir bis jetzt nur Chlor, das selten hilft. Denken Sie an die bestialischen Gifte der Südsee, Upas Antier, Pohon Upas und das chinesische Gift Tsau-rou. Das sind pflanzliche Gifte, gegen die unsere Mittel und Drogen fast gar nichts nützen! Die Buschmänner haben ein Gift aus dem Saft der Giftschlangen, das sie mit einem Wurzelextrakt vermischen. Es gibt nicht weniger als tausend Arten von Schlangen! Ein Forschungsgebiet also, so unendlich groß und verantwortungsvoll, und doch ein Gebiet, das die wenigsten Menschen kennen und kaum beachten. Dabei baut gerade die Medizin und die Pharmazie wesentlich auf den Erkenntnissen unserer Toxikologie auf; wir sind gleichsam die Unbekannten im Hintergrund, die die Wege ebnen, auf denen dann ein Siegeszug beginnen kann, dem die Massen zujubeln.«
»Ein schöner Beruf!« Wolf von Barthey brannte sich eine Zigarre an, während Peter Perthes und Angela Bender sich Zigaretten nahmen. »Sie können doch stolz auf Ihre Erfolge sein!«
»Teilerfolge! Um einen vollen Erfolg zu haben, müßte man Geld
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