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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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sind. Ich wusste, dass wir reden mussten. Doch dann kam ich an meinem ersten Tag hier den Weg zur Schule hinauf, und da standest du auf der Treppe, den Arm um Tessas Schultern gelegt, den Kopf so nah zu ihr hingebeugt, dass sich eure Gesichter fast berührten. In dem Moment starb das letzte bisschen Hoffnung, an das ich mich geklammert hatte. Ich konnte dich nicht einmal mehr ansehen. Jedes Mal, wenn du in meine Richtung blicktest, tat ich so, als wärst du Luft. In jedem Kurs, den wir gemeinsam besuchten, saß ich am anderen Ende des Klassenzimmers. Als hätten die zehn Jahre, in denen wir beste Freunde waren, niemals existiert.
    Es tut mir leid, dass ich dich glauben ließ, ich würde dich hassen, obwohl du gar nichts falsch gemacht hast. Ich bedaure all die dummen Vorurteile, die ich Tessa gegenüber hatte. Und ganz besonders bedaure ich, dass diese Entschuldigung dich nun niemals erreichen wird. Du wirst den Rest deines Lebens glauben, deine Freundschaft hätte mir nichts bedeutet, wobei das eigentliche Problem doch darin bestand, dass sie mir zu viel bedeutet hat.

25. Oktober
    Vorhin hat Drew mir ein bisschen Hühnersuppe zum Mittagessen gebracht, doch statt die Schale abzustellen und wieder wegzugehen, blieb er auf der anderen Seite der Tür stehen. Ich wartete auf das Knarren des Fußbodens zum Zeichen, dass er wegging. Nichts.
    »Ich lass dich nicht rein«, sagte ich.
    »Ich weiß«, erwiderte er. »Ich wollte bloß …«
    Einen Augenblick lang betretenes Schweigen. Ich spürte seine Anwesenheit durch die verschlossene Tür. Wahrscheinlich stand er mit gesenktem Kopf da, die Zähne aufeinandergebissen.
    »Ich hab so getan, als wäre es falsch, sich zu fürchten«, fuhr er fort. »Ich habe dich ermutigt, da mitzumachen, da rauszugehen.«
    Mein Brustkorb zog sich zusammen. »Tu das nicht«, sagte ich.
    »Was denn?«
    »Versuch nicht, deinen Fehler daraus zu machen«, erwiderte ich. »Das ist es nicht.«
    »Aber …«, fing er an, doch ich ließ ihn nicht weiterreden.
    »Weißt du, wie es wahrscheinlich passiert ist?«, unterbrach ich ihn. »Wie ich mich angesteckt habe? Ich hab darüber nachgedacht. An dem Tag, als Mom krank wurde, bin ich ins Krankenhaus gefahren, um Dad zu suchen. Da hatte ich keine Schutzmaske dabei. Und als Mom vor ein paar Tagen die Treppe runterkam, als sie nicht mehr klar denken konnte, da hatte ich auch keine auf. Das waren die einzigen beiden Male seit Wochen, dass ich in der Nähe von jemand Krankem war. Und keins davon hatte etwas mit dir zu tun, Drew, oder mit irgendwas, das du gesagt hast.«
    Er schwieg noch einen Augenblick, dann sagte er: »Ich hab doch bloß versucht, uns alle sicher hier rauszubringen. Das war alles, was ich wollte.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich. »Ich auch.«
    Dann ging er, und ich holte die Suppe herein, aber ich habe gar keinen Appetit mehr. Sie steht jetzt auf dem Schreibtisch und wird kalt.
    Hätte ich doch nur meine Schutzmaske mitgenommen, als ich an jenem Tag so panisch ins Krankenhaus aufbrach. Hätte Dad doch nur daran gedacht, Mom in ihrem Zimmer einzuschließen, bevor sie anfing, durch die Gegend zu laufen. Ich könnte jedem von uns die Schuld geben. Doch was soll das bringen? Nichts davon kann meine Situation jetzt noch ändern.

26. Oktober
    Ich hab angefangen, den dritten Akt von Hamlet zu lesen, und schon nach zwei Seiten wurde mir klar, wie sinnlos das ist.
    Ich werde nie mehr wieder zur Schule gehen.
    Ich werde niemals eine Universität besuchen.
    Ich werde nie mehr Wölfe beobachten, die durch nördliche Wälder pirschen, oder Elefanten, die in der Savanne grasen. Ich werde niemals Sex haben oder heiraten oder eine Familie gründen. Ich werde nie meine erste Wohnung haben, kein erstes Haus, kein erstes Auto. Ich werde nie

27. Oktober
    Ich hab den Trick raus, wie man nicht durchdreht. Einfach nicht daran denken. Computerspiele machen und Videos anschauen, mit Mowat und Fossey balgen, noch ein letztes Mal meine Lieblingsbücher lesen und einfach nicht den- ken .
    Die Medikamente, die Dad mitbringt, helfen. Manchmal habe ich das Gefühl, als würde mein Kopf irgendwo oben unter der Zimmerdecke schweben. Ich muss nicht mehr so oft niesen wie vorher, was wirklich angenehm ist. Es gibt nichts mehr, worüber ich mir Sorgen machen müsste, außer den Frettchen. Deshalb musste Drew mir versprechen, dass er sich um sie kümmern wird.

    Alles erledigt.

    Beim Schreiben muss ich zu viel denken. Wieder an den Computer.
    Niemand redet mit mir.

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