Wir sind verbannt (German Edition)
ein Teil eines Puzzles gereicht hatte, von dem ich bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass ich es gerade zusammensetzte. Plötzlich war mir vollkommen klar, wie er zu dem Jungen geworden war, mit dem ich mich vor zwei Monaten im Park unterhalten hatte, der über die Vorstellung, die Regierung würde uns helfen, nur lachte und anschließend seelenruhig hinging, um einen Supermarkt leerzuräumen und auf seine Art Hilfe zu leisten.
Ich wollte etwas Tiefgründiges und Einfühlsames sagen, um zu zeigen, dass ich ihn verstand, doch genau in diesem Moment fuhren wir an einer Ladenzeile vorbei, und ich rief stattdessen: »Halt, halt, stopp mal!«
Die Gang hatte in der Main Street offensichtlich gute Arbeit geleistet. Die meisten der Schaufensterscheiben waren eingeschlagen, und der Gehweg war mit Glasscherben übersät. Im Gartencenter waren sie auch gewesen, aber ich erkannte noch Samentütchen und Blumenzwiebeln in den Regalen und dachte, ich sollte irgendwann einmal mit Tessa vorbeikommen, damit sie alles mitnehmen konnte, was sie für brauchbar hielt.
Was mir aber eigentlich ins Auge gefallen war, war der Spielzeugladen.
Ich bin mir sicher, dass die Gang dort drin nichts Nützliches vermutete. Was aus ihrer Sicht ja auch stimmte. Das Schaufenster, in dem sich ein Bild von zwei Kindern auf einem fliegenden Teppich drehte, war jedenfalls unversehrt, obwohl es ein bisschen heruntergekommen aussah. Dahinter lugte ein Haufen Stofftiere aus der einen Ecke der Auslage, während die andere von einer ganzen Armee Actionfiguren beherrscht wurde.
Das war noch besser als der Strand. Es war genau das, was Meredith jetzt brauchte.
Als ich es an der Tür versuchte, ließ sie sich öffnen. Wer immer zuletzt hier drin gewesen war, hatte sich nicht die Mühe gemacht abzuschließen. Vielleicht waren sie davon ausgegangen, sie würden am nächsten Tag wiederkommen. Ich wollte lieber nicht über den wahrscheinlichsten Grund nachdenken, warum sie es nicht getan hatten.
Gav hatte Meredith aus dem Auto geholt. Zögernd kam sie auf das Geschäft zu. »Dürfen wir da wirklich reingehen?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete ich entschieden. »Natürlich dürfen wir das. Du darfst dir fünf Sachen zum mit nach Hause nehmen aussuchen. Und für die Kinder, die jetzt ganz alleine sind, nehmen wir auch etwas zum Spielen mit.«
Gav sah rechts und links die Straße entlang. »Ich fahre schnell mit dem Wagen zum Tanken«, sagte er. »Dauert nur ein paar Minuten.« Aber dann blieb er einfach stehen.
»Wir kommen schon klar«, versicherte ich. »Das ist bloß ein Spielzeugladen. Fahr schon.«
Ich drückte die Tür auf und knipste das Licht an. Es war, als träte man durch die Pforte nach Narnia.
Früher liebte ich diesen Laden. Als Kind hatte ich darin immer das Gefühl gehabt, im Saal eines Märchenschlosses zu sein, mit bemaltem Steinfußboden und falschem Bärenfell, auf dem ehrenamtliche Vorleser jeden Nachmittag vor dem Kamin etwas vortrugen, während hinter den mit Kisten und Schachteln voller Schätze gefüllten Regalen süßlicher Zederngeruch aufstieg. Hier hatte ich meinen Kescher gekauft und das dicke Buch mit den Naturgeschichten, das ich so lange gelesen habe, bis der Einband abfiel, und diese Vogelfigürchen, bei denen echte Federn an die hölzernen Körper geklebt waren. Aber ich war schon seit wir weggezogen waren nicht mehr hier gewesen.
Jetzt schien der Laden irgendwie kleiner zu sein, eher gemütliche Hütte als Märchenschloss; klar, denn ich bin inzwischen schließlich größer geworden. Doch er hatte immer noch etwas Magisches. Er war so unberührt. Ein kleines Stückchen von dem Leben, das wir früher hatten, verborgen mitten in der Stadt.
Meredith stand nur mit großen Augen da, was nicht gerade das war, was ich beabsichtigt hatte. Ich wollte Begeisterung, Tanzen, Lachen. Deshalb nahm ich mir eine Flasche von der Theke neben der Kasse und pustete einen ganzen Schwall Seifenblasen in ihre Richtung. Sie versuchte, sie mit den Händen zu fangen, und eine davon zerplatzte auf ihrer Wange.
»Ich will auch mal!«, rief sie, und für einen Augenblick war alles ganz toll.
Ich machte eine zweite Flasche auf, und wir füllten den Laden mit bunten Seifenblasen, rannten anschließend von einem Ende bis zum anderen hindurch und ließen sie um uns herumwirbeln. An einem Regal im hinteren Teil hingen mehrere Prinzessinnenkleider und Kostüme aus Disneyfilmen. Ich fand das von Arielle und zog es Meredith über ihren Pulli. Sie wirbelte
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