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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Torres
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nichts.
    »Sicher«, sagte ich und beugte mich zu Joel. »Das kannst du doch, Paps, oder nicht?«
    »Klar kann er das«, schloss sich uns Manny an. »Niemand hat je behauptet, dass du das nicht kannst, Paps. Das hat keiner behauptet.«
    Paps machte komische Geräusche, ein Pfeifen, Luftschnappen. Er donnerte mit der Handfläche aufs Armaturenbrett, dann machte er eine Faust und schlug richtig kraftvoll zu, aber langsam und stetig, so als würde er einen Nagel einschlagen. Schließlich fiel er in einen Dreierrhythmus, eher wie auf einem Schlagzeug, und donnerte den Takt zu einer Musik, die nur er hörte. Er wischte sich den Rotz von der Nase und die Tränen aus den Augen, hämmerte aber immer weiter.
    Rums. Rums. Rums.
    »Weint er?«, fragte Joel flüsternd.
    »Was, mit der Faust?«
    Es kam uns nicht wie Weinen vor, eher wie etwas anderes, Schlimmeres als Weinen; gleichmäßiger, aber keiner von uns hatte ihn je weinen sehen, also waren wir uns nicht sicher – und Paps sagte kein Wort, nur meilenweit: rums, rums, rums. Als wir dachten, er würde aufhören, machte er weiter; als wir dachten, er würde etwas sagen oder schreien oder fluchen, blieb er stumm. Sein Atem beruhigte sich ein wenig, aber Wasser und Rotz flossen, dazu das Pfeifen, das Luftschnappen.
    Nach einer Weile war das Hämmern, das erst so unheimlich gewesen war, einfach da, und noch eine Weile später schlug Joel mit der eigenen Faust gegen die Scheibe, im Takt mit Paps.
    Rums. Rums. Rums.
    Dann klopfte Manny gegen die Scheibe, auch im Takt. Paps drehte sich nicht um, kümmerte sich gar nicht um uns; er hämmerte einfach weiter, also haute ich auf die harte Plastikarmlehne in der Mitte, und es fühlte sich an, als würden wir etwas bauen, eine Sippe – wir vier gemeinsam, wir vier, gemeinsam wütend und schwindlig und schlagverrückt, gemeinsam.
    Als wir in unsere Straße bogen, probierten wir drei Wörter zum Takt der Schläge aus.
    »Nie mehr arbeiten!«, sagte Manny.
    »Nie mehr Boden!«, sagte ich.
    »Nie! Mehr! Kaffeebecher!«, schrie Joel, und wir brachen in Gelächter aus; selbst Paps musste kurz überrascht prusten.
    Wir kullerten über den Rücksitz, schlugen uns auf die Oberschenkel, versuchten »Nie mehr Kaffeebecher« zu rufen, aber wir verschluckten uns vor Lachen an den Wörtern, wir lachten so sehr, bis Manny sagte: »Stopp, stopp. Ich kann nicht mehr. Muss schon weinen.«
    Joel antwortete, indem er »Nie mehr weinen!« gegen die Scheibe klopfte. Bald hämmerten wir alle mit.
    »Nie mehr weinen! Nie mehr weinen!«
    Wir brüllten die ganze Straße entlang bis in die Einfahrt, die Treppe hinauf ins Haus, Ma war schon zu Hause und hatte sich ausgezogen, um schlafen zu gehen, und kam jetzt in BH und Schlüpfer an die Schlafzimmertür, rieb sich die Augen und fragte, was zum Teufel denn los sei; wir brüllten und hämmerten gegen die Wände, wir schlugen auf den Beistelltisch vor der Couch, auf die Paps sich fallen ließ und die Hände vor die Augen hielt. »Nie mehr weinen! Nie mehr weinen!«
    Ma versuchte, über den Lärm hinwegzubrüllen; immer wieder fragte sie, was passiert sei, rief Paps beim Vornamen, er solle ihr sagen, was zum Teufel denn los sei, setzte sich zu ihm, legte ihm den Handrücken vor die Stirn und sagte dann zu uns: »Er ist nur müde, nur müde, das ist alles«, und dann sah sie ihn an und fragte: »Du bist doch nur müde, oder?«
    Paps hielt seine Hände weiter vor die Augen; so sprach er auch.
    »Wir werden dem nie entkommen«, meinte er. »Niemals.«
    Wir wussten nicht, mit wem er sprach, aber wir verstummten. Unser Hämmern wurde zu leisem Klopfen auf dem Tisch; wir riefen weiter, aber es war nur noch ein Flüstern und machte keinen Spaß mehr.
    »Redest du von Flucht?«, fragte Ma.
    »Niemand«, sagte Paps. »Wir nicht. Die nicht. Niemand entkommt jemals alldem hier.« Er hob den Kopf und holte mit dem Arm aus. »Dem hier.«
    Schließlich verstummten wir.
    Ma stand auf, packte seine ausgestreckte Hand und versteckte sie zwischen ihren Händen.
    »Wage es nicht«, sagte sie mit einer Stimme, fester, als wir sie kannten. »Wage es ja nicht.«

Monsterpimmel-Pick-up
    P aps fuhr zum Autohändler, und wir drei hielten den ganzen Nachmittag auf dem Rasen vor dem Haus Ausschau, zupften die gelben Löwenzahnköpfe ab, strichen mit ihnen unsere Arme entlang und malten uns golden an, während wir auf seine Rückkehr warteten.
    Unser alter Wagen war am Vorabend verreckt, auf dem Heimweg, nachdem Paps Ma bei der Arbeit

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